Viel Gedöns wird dieser Tage gemacht um das, was zu Europa gehört. Der Euro (Wesenskern…), der Islam (jedenfalls ein bisschen…), Reisefreiheit (Menschenrecht…) – aber dass die Roma, die seit über 600 Jahren unter uns leben, zu Europa gehören – nein das hat man noch nie gehört. Weshalb sie in den meisten Ländern auch ausgegrenzt und materiell abgehängt, in schäbigen Hüttendörfern vor sich hin hausen. Zum Glück verschont uns die Arbeit der spanischen Regisseurin Milena Bochet mit gutgemeinten Opfer-Bildern aus dieser Welt. Ihr Film über vier Frauen einer slowakischen Roma-Familie entführt uns vielmehr in die rätselhafte Wirklichkeit einer anderen Kultur, die gleichwohl frei ist von sozialer Exotik, doch dafür reich an Identität, an Selbstbewusstsein, an Wissen, das ebenso wie das Schicksal von der Mutter an die Tochter weitergegeben wird. Immerzu wird in diesem Film erzählt, und immerzu sitzen irgendwo Kinder, die zuhören. Referenzpunkt aller Geschichten ist deren Ahnin, die alte Vozarania, die nicht sterben wollte. Der Ur-Enkelin ist sie eines Nachts begegnet. Sie ist ein Mulo, ein Geist mit zwei Seelen. In seinen dichtesten Momenten verbindet der Film diese geheimnisvolle Geisterwelt mit der Haltung seiner Protagonistinnen gegenüber dem Außen, den Gadje, den Nicht-Roma. Deren feindliche Haltung kann sie nicht wirklich beschädigen. Nicht die Zwangssterilisationen der Vergangenheit, nicht die Gefängnisse, in die ihre Männer regelmäßig verschwinden, nicht die materielle Not, zu der sie verurteilt sind. Diese Erfahrungen reichen weit zurück in ihrer Geschichte und sind nicht mehr als weitere Bausteine in der langen Erzählung ihres Volkes.
– Matthias Heeder