Filmarchiv

Jahr

Mom

Dokumentarfilm
Russland
2013
28 Minuten
Untertitel: 
englische

Credits DOK Leipzig Logo

Produktion
Lidiya Sheynina
Regie
Lidiya Sheynina
Kamera
Lidiya Sheynina
Schnitt
Lidiya Sheynina
Buch
Lidiya Sheynina
Ton
Lidiya Sheynina
Ruhig und doch unheimlich teilnahmsvoll hält Lidiya Sheynina die Kamera, oft aus leichter Untersicht, auf den Körper und das Gesicht ihrer Mutter. Diese hat über die Jahre die Physiognomie einer gemütlich sich abplagenden Schildkröte angenommen. Life is hard, die Wohnung eng, aber sie macht das Beste draus – und weiter, immer weiter. Seit Jahrzehnten kümmert sie sich um ihre greise Mutter, jene grauhaarige, anmutige Grande Dame dieses studentischen Kleinjuwel-Films, die mal rumturnt („Hampelmann“ im Rollstuhl), mal mit alten Freundinnen telefoniert (so sie nicht verstorben sind), mal Geschirr spült (auch Teflonpfannen, was sie nicht soll), meist aber einfach dasitzt und isst, oder trinkt, aus einer wunderbaren Tasse mit der Aufschrift „babushka“. Aus der Großmutter, die vergessen hat, wie alt sie ist („Was? 96? Kann nicht sein.“), dass sie seit 17 Jahren ohne Mann lebt („Wirklich?“) und seit 20 Jahren das Haus nicht mehr verlassen hat („Genau deshalb will ich ja wieder mal raus“), ist ein Kind geworden, aus der Tochter eine Mama. Das Radio berichtet von der wunderbaren Unabhängigkeit im Alter, das Leben spielt anders. Tagein, tagaus, zusammen. Und doch schunkelt Mama fröhlich zur Morgenmusik und blickt gemeinsam mit der ihren aus dem Fenster. Warten auf den Frühling. Es sind zärtliche Metaphern wie diese, die „Mama“, einen Film der kleinen Gesten, zu großem Kino machen.

Barbara Wurm



Lobende Erwähnung im Internationalen Wettbewerb für kurze Dokumentarfilme 2013

Int. Wettbewerb Kurze Dokfilme 2014
Victory Day Alina Rudnitskaya

Schwule und Lesben erzählen vom Leben unter Putins Anti-Homosexuellen-Gesetz, während draußen die Parade aufmarschiert … Beklemmendes Gleichnis von Siegern und Besiegten.

Victory Day

Dokumentarfilm
Russland
2013
29 Minuten
Untertitel: 
englische

Credits DOK Leipzig Logo

Produktion
Sergey Vinokurov, Alina Rudnitskaya
Regie
Alina Rudnitskaya
Kamera
Fedor Bakulin
Schnitt
Alina Rudnitskaya
Buch
Sergey Vinokurov
Ton
Alexsey Antonov
„Nur in Russland ist es denkbar, dass der Präsident jenes Jahr, in dem er seine Scheidung einreicht, zum ‚Jahr der Familie‘ erklärt.“ Während unten auf den Straßen Sankt Petersburgs das Fahnenmeer der Siegesparade verdeutlicht, wie sehr mittlerweile Russisch-Nationales, Kommunistisches und Orthodoxes verschmolzen sind im Land der ideologischen Extreme, sitzen lesbische und schwule Paare zu Hause auf ihren Sofas. Hinter geschlossenen Fenstern und jenseits der neuen Öffentlichkeit, die nunmehr rein zu halten ist von „Perversen“. Sie erzählen, wie sie sich kennengelernt haben und wie Eltern und Umgebung mit ihrem Bekenntnis zur Homosexualität umgehen. Im TV läuft eine Talkshow, ein Biedermann hält das im Juni 2013 verabschiedete Anti-Homosexuellen-Gesetz für zu harmlos: „Solchen muss man das Spenden von Blut und Sperma verbieten, und im Fall eines Autounfalls sollte man ihre Herzen in der Erde vergraben oder verbrennen, als ungeeignet für die Fortsetzung jedweden Lebens.“ Er erntet minutenlangen Applaus.
Das Schöne an diesem Film ist die Normalität dieser Lieben und Liebenden, die Selbstverständlichkeit ihrer Ansichten und Haltungen. Und doch hat sich – spätestens gegen Ende, in der fulminanten Schlussmontage – eine Schicht der Verzweiflung über ihre klugen Gesichter gelegt. Nach Juden und Queers, sagt einer, fehle jetzt eigentlich nur noch ein Gesetz über Hexen. Willkommen im Mittelalter, willkommen im Russland von heute.
Barbara Wurm