Auf dem Dorf ist das Leben ohne Auto undenkbar geworden. Das gilt auch für das verschlafene Claviers in der Provence, wo Claire Simon zur Schule ging und ihre Tochter mit dem Bäckerssohn die erste Liebe erlebte. Rentner und Urlauber dominieren heute den Ort, und die Bäckerei hat längst aufgegeben. Das Herz des Dorfes aber schlägt weiter: in der Autowerkstatt. Hier spielen sich die tagtäglichen Dramen ab, hier entscheiden sich Wohl und Wehe seiner Bürger.
Das Reich von Christophe Scalia ist eines der Männer, das Frauen nur als Zaungäste akzeptiert. Von Claire Simon allerdings lassen sich der Mechaniker und sein Auszubildender Romaric Rousselle nicht nur bereitwillig bei jedem Handgriff an Stoßdämpfern, Zündkerzen und Bremsklötzen zuschauen und bei jedem frotzelnden Gespräch belauschen. Sie gehen in ihrer Rolle ganz und gar auf, verwandeln sich in Superhelden, die nicht nur die Funktionstüchtigkeit all der auf dem Lande so unentbehrlichen zwei- und vierrädrigen Vehikel, sondern die des gesamten Dorfes verantworten. Bei ihnen werden Lokalpolitik und Familienplanung verhandelt, Generationenkonflikte und Ökonomie, ab und an untermalt von der Musik aus Coppolas „Der Pate“, die Christophe auf seinem Handy als Klingelton eingestellt hat. Durch geduldige Beobachtung den Alltag spannender wirken zu lassen als jede Fiktion, das ist das Wunder des dokumentarischen Werks von Claire Simon.
Christoph Terhechte