Kyiv Cake
Der Hirsch auf dem Schlafzimmergemälde tritt energisch ins Gras und der Vater wacht auf. Frau und Baby schlummern noch. In ausgeleierten Boxershorts, die den Blick auf einen verloren wirkenden Hoden freigeben, beginnt er den allmorgendlichen Kampf gegen den Stromzähler, der sein schnappendes Maul nur schließt, wenn man genügend Scheine einwirft. Mykyta Lyskov porträtiert bitterböse, unglaublich lustig und tieftraurig eine prekär lebende ukrainische Familie prä-2022. Er nutzt anthropomorphe und surrealistische Überspitzungen, um die Not plastisch zu machen, sowie zahlreiche kulturelle Referenzen, um Fragen nach Zugehörigkeit und Nationalstolz aufzuwerfen.
In Lyskovs Film bleibt alles trostlos, als wäre 1990 noch gar nicht lang her: endlose Plattenbauschluchten, Müll, Perspektivlosigkeit. Kein Wunder, dass der Vater seinen Pass wie einen veritablen Goldschatz hütet und als kleiner gelb-blauer Vogel nach Westeuropa zum Arbeiten davonflattert. Zurück bleibt die Ehefrau, die mit Einfallsreichtum den gierigen Stromzähler in Schach hält, während der Sohn zum Hooligan heranwächst. Dass die in dieser aussichtslosen Gemengelage mehr schlecht als recht wiedervereinte Familie am Küchentisch zuschauen muss, wie eine Bombe aus dem Nichts das Gebäude gegenüber niederreißt, ist eine absolute Zumutung. Fantastisch, dass Lyskov sie mit so viel überbordender Wut für uns festhält.
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