Filmarchiv

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Camera Lucida 2022
Filmstill Danube
Danube Agustina Pérez Rial
Die gelungene Montage historischer Aufnahmen und persönlicher Annahmen verdichtet sich zu einer möglichen Ereignisgeschichte des 9. Internationalen Filmfestivals Mar del Plata 1968.
Filmstill Danube

Danube

Danubio
Agustina Pérez Rial
Camera Lucida 2022
Dokumentarfilm
Argentinien
2021
62 Minuten
Spanisch,
Englisch,
Russisch
Untertitel: 
Englisch

Das Langfilmdebüt der argentinischen Regisseurin Agustina Pérez Rial über die neunte Ausgabe des Internationalen Filmfestivals in ihrer Heimatstadt Mar del Plata aus dem Jahr 1968 scheint auf eine selten ausgewogene Art das Urdilemma des dokumentarischen Erzählens zu lösen. In einer beeindruckend gelungenen Montage des Archivmaterials wird eine Geschichte konstruiert, die – so die Regisseurin selbst – zwar nicht unbedingt wahr, aber realistisch sei.

Historische Schwarz-Weiß-Fotografien von bestechender Schönheit, Filmaufnahmen aus unterschiedlichsten Quellen und Dokumente aus inzwischen geöffneten Archiven der damaligen Überwachungsbehörden werden durch einen vermeintlichen Zeuginnenbericht – de facto eine weibliche Stimme aus dem Off – konterkariert. Subtil und klug beherrscht Pérez Rial die filmischen Mittel und zieht dabei alle Register: Dokumentarisches und Fiktion, Historie und Gegenwart, Ästhetisches, Wissenswertes und Anekdotisches. Die genau recherchierten Fakten fördern einerseits eine in Vergessenheit geratene Mikrofacette des Kalten Krieges samt Militarisierung, Verfolgung und Paranoia zutage. Andererseits zeigen sie ein Filmfestival als Umschlagplatz von Ideologien und beschreiben es als einen hochpolitisierten Ort. Dadurch eröffnen sich unerwartete Reflexionsräume für die Rolle, die einer solchen Kulturveranstaltung zufällt – historisch wie aktuell.
Borjana Gaković

Credits DOK Leipzig Logo

Regie
Agustina Pérez Rial
Buch
Paulina Bettendorff
Kamera
Pupeto Mastropasqua
Schnitt
Natalia Labaké
Produktion
Agustina Pérez Rial
Co-Produktion
Fiørd estudio, En otro orden de cosas
Ton
Manuel Embalse
Camera Lucida 2023
Filmstill Feet in Water, Head on Fire
Feet in Water, Head on Fire Terra Long
In Südkalifornien wachsen Dattelpalmen aus dem Nahen Osten, werden Märchen aus Tausendundeiner Nacht erzählt und erwartet man einen Vulkanausbruch. Ein Dokument von betörender Simultanität.
Filmstill Feet in Water, Head on Fire

Feet in Water, Head on Fire

Feet in Water, Head on Fire
Terra Long
Camera Lucida 2023
Dokumentarfilm
USA,
Kanada
2023
90 Minuten
Spanisch,
Englisch
Untertitel: 
Englisch

Keine einzige Wolke scheint jemals über diesen Himmel zu gleiten, pausenlos schickt die Sonne ihre kraftvollen Strahlen gen Erde. Hier, im Süden Kaliforniens, wo die San-Andreas-Verwerfung für eine unverkennbare Topografie sorgt und unterhalb des kargen Bodens unsichtbare Wasserströme fließen, gedeihen Dattelpalmen am besten: die Füße im Wasser, den Kopf im Feuer. Terra Long hat sich umgesehen, hat der Geschichte der Pflanzen, die ursprünglich aus dem Nahen Osten nach Nordamerika kamen, nachgespürt und jene Paraden und Festlichkeiten besucht, die der zuckersüßen Frucht gewidmet sind. Schicht um Schicht konstruiert sie so eine ganz eigene Perspektive auf Landschaft und Menschen, übersetzt ihre haptischen Eindrücke in prächtige 16mm-Aufnahmen und entwirft eine komplexe Tonspur.

Long gelingt es, Vergangenes und Gegenwärtiges zusammenzuführen und ein konzises, gleichsam sinnliches Extrakt zu erzeugen. In ihm spielt die aufwendige Handbestäubung der Dattelpalmen genauso eine Rolle wie das kollabierte Ökosystem des Saltonsees, archivierte Kleider von Tausendundeine-Nacht-Schönheitsköniginnen und Interviews, die nur mehr Historisches bezeugen, genauso wie ältliche weiße Ehepaare, die durch ihre Pools treiben und über die Rasenflächen von Golfanlagen spazieren. „Feet in Water, Head on Fire“ ist ein Dokument der Simultanität, das von der ersten bis zur letzten Minute betört.

Carolin Weidner

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Regie
Terra Long
Kamera
Terra Long
Schnitt
Kaija Siirala, Terra Long
Produktion
Terra Long, Mireya Martinez, Sharlene Bamboat
Sound Design
Richy Carey
Camera Lucida 2022
Filmstill Foragers
Foragers Jumana Manna
Kampf ums Kraut: Das Sammeln essbarer Pflanzen ist im israelisch-palästinensischen Konflikt ein Politikum mit wirtschaftlichen, ökologischen und kulturellen Implikationen.
2022
Filmstill Foragers

Foragers

Al-yad al-khadra
Jumana Manna
Camera Lucida 2022
Dokumentarfilm
2022
63 Minuten
Arabisch,
Hebräisch
Untertitel: 
Englisch

Der Streit ums Kraut, in diesem Fall um ’Akkoub (Gundelia) und Za’atar (wilder Thymian), gehört zu den skurrilen Aspekten des Nahostkonflikts. Als begehrte Zutaten der palästinensischen Küche werden die Pflanzen seit Generationen gesammelt, doch aus Naturschutzgründen ist dies in der Westbank verboten. So liefern sich israelische Parkranger mit den Sammelnden Verfolgungsjagden um eine Handvoll Grünzeug. In humoristischer Form inszeniert Jumana Manna die Wildbeuterei als zivilen Ungehorsam.

Die palästinensische, in Berlin lebende Künstlerin kombiniert Dokumentarisches, Geskriptetes und Pop-Referenzen. Einmal, wenn Archivmaterial den Hype um das illegale Kraut illustriert, laufen Jefferson Airplanes „White Rabbit“ und Morricones Maultrommel-Melodie aus „Für ein paar Dollar mehr“. Weil israelische Firmen Za’atar als Gewürzmischung verkaufen, hat das Verbot auch eine ökonomische Seite. Drohnenaufnahmen und Panoramen suggerieren die absurde Fahndung nach älteren Menschen beim Ernten für den Eigenbedarf. Einer sagt: „Die werden mich auch 2050 noch mit meinen Kindern und Enkelkindern erwischen.“ Die Anhörungen vor Gericht schrieb Manna auf der Basis realer Fälle mit dem Juristen Rabea Eghbarieh. Im Film unerwähnt bleibt der politische Erfolg, den der Anwalt der NGO Adalah 2019 mitbewirkte: Nach der neuen Richtlinie des Umweltministeriums dürfen fünf Kilogramm Pflanzen gepflückt werden.
Jan-Philipp Kohlmann

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Regie
Jumana Manna
Buch
Jumana Manna, Rabea Eghbarieh
Kamera
Marte Vold, Ashraf Dowani, Yaniv Linton
Schnitt
Katrin Ebersohn, Jumana Manna
Produktion
Jumana Manna
Co-Produktion
Eyal Vexler
Ton
Montaser Abu 'Alul
Musik
Rashad Becker
Nominiert für: Filmpreis Leipziger Ring
Camera Lucida 2022
Filmstill Mamani in El Alto
Mamani in El Alto Heinz Emigholz
Die durch indigene Kultur geprägte, neoandine Architektur von Freddy Mamani Silvestre schmückt das bolivianische El Alto. Eine psychoaktiv wirksame Begehung in 4.000 Metern Höhe.
Filmstill Mamani in El Alto

Mamani in El Alto

Mamani in El Alto
Heinz Emigholz
Camera Lucida 2022
Dokumentarfilm
Deutschland
2022
95 Minuten
ohne Dialog
Untertitel: 
Keine

Als Pionier der neoandinen Architektur sorgt Freddy Mamani Silvestre nicht nur in Bolivien für Aufsehen. Seine nonkonformen Entwürfe sind von der Kultur der Aymara, der größten Bevölkerungsgruppe des Landes geprägt, greifen ihre Mythen und Muster auf. Zwischen 2008 und 2021 errichtete Gebäude werden von Heinz Emigholz umkreist, inspiziert und in Teil 35 der fortlaufenden Serie „Photographie und jenseits“ festgehalten.

Wie riesige Juwelen ragen die Cholets in den Himmel über dem bolivianischen El Alto, in 4.000 Metern Höhe. Cholets, eine Wortschöpfung aus Chalet und Cholo, dem lokal gebräuchlichen Begriff für Indigene, sind Kreationen des Architekten Freddy Mamani Silvestre, Jahrgang 1971. Mehrere Dutzend Bauten nach seinen Plänen schmücken die sonst wenig glamouröse Stadt, deren Straßenbild vornehmlich unverputzte rote Ziegelsteine bestimmen. Mamanis gebaute Fantasien aber sind auffällig, anmaßend und kühn. Außen scheinen sich Schlangen an ihnen emporzuwinden, an den Verglasungen haften vereinzelt Diamanten, und obenauf thront gelegentlich ein eigenständiges Wohnhaus. Vor allem aber werden die Cholets für Festivitäten genutzt, denn sie beherbergen die sogenannten „salones de eventos“. Emigholz erschließt psychoaktiv wirksame Orte, die an das Innenleben eines Flippers erinnern und in ihrer selbstbewussten Pracht über die reichere Nachbarstadt La Paz triumphieren.
Carolin Weidner

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Regie
Heinz Emigholz
Buch
Heinz Emigholz
Kamera
Heinz Emigholz, Till Beckmann
Schnitt
Till Beckmann, Heinz Emigholz
Produktion
Frieder Schlaich, Irene von Alberti
Ton
Ueli Etter, Christian Obermaier, Jochen Jezussek
Musik
Andreas Reihse
Filmvertrieb
Frieder Schlaich
Camera Lucida 2023
Filmstill Man in Black
Man in Black Bing Wang
Ein Theater in Paris wird zur Bühne für eine eindrucksvolle Begegnung: Der hochbetagte Komponist Wang Xilin ist nackt – und entblößt die Grausamkeiten des kommunistischen Regimes in China.
Filmstill Man in Black

Man in Black

Man in Black
Bing Wang
Camera Lucida 2023
Dokumentarfilm
Frankreich,
USA,
UK
2023
60 Minuten
Chinesisch
Untertitel: 
Englisch

Nicht im Anzug, wie der Titel es vielleicht vermuten ließe, betritt Wang Xilin die Bühne, sondern völlig nackt. Er streckt und beugt sich, er wirkt, als würde er sich mit der Umgebung vertraut machen, vollführt Stimmübungen, nimmt Platz am Klavier. Wang Xilin zählt zu Chinas wichtigsten Komponisten zeitgenössischer Musik, bereits in seiner Jugend verfasste er erste Symphonien. Wang Bing gibt dem 86-Jährigen mehr als nur ein bisschen Raum. Für sein Porträt schenkt er ihm das ganze Théâtre des Bouffes du Nord in Paris.

Hier unternimmt Wang Xilin eine Rückschau auf sein von Tortur und Unterdrückung geprägtes Leben, rekapituliert die Drangsal im kommunistischen China, berichtet von ausgeschlagenen Zähnen und Albträumen, von Selbstmorden im intellektuellen Milieu. Dabei werden seine Auskünfte immer wieder durch imposante musikalische Arrangements untermalt, manchmal sogar von ihnen überstimmt. Dann donnert ein Orchester aus dem Off, Wang Xilins Körper bäumt sich auf – „Man in Black“ ist auch eine exorzistische Oral History. Der Komponist macht sich zum Instrument seiner selbst, zum Medium einer gewaltsamen Epoche und teilt seine Empfindungen buchstäblich unverhüllt.

Carolin Weidner

Credits DOK Leipzig Logo

Regie
Bing Wang
Kamera
Caroline Champetier
Schnitt
Claire Atherton
Produktion
Lihong Kong, Sonia Buchman, Nicolas R. De La Mothe
Co-Produktion
Karin Chien, Liza Essers
Ton
Erwan Kerzanet, Emmanuel Soland
Musik
Xilin Wang
Filmvertrieb
Lya Li
-
Ying Wang, Xilin Wang, Xiaoxia Zhou
Camera Lucida 2023
Filmstill Play Dead!
Play Dead! Matthew Lancit
Diabetes: Matthew Lancit lebt in ständiger Furcht vor den Komplikationen seiner Erkrankung. Also nimmt er den Body-Horror einfach selbst vorweg. Das Ergebnis ist so humorvoll wie verstörend.
Filmstill Play Dead!

Play Dead!

Fais le mort!
Matthew Lancit
Camera Lucida 2023
Dokumentarfilm
Frankreich,
Portugal
2023
80 Minuten
Englisch,
Französisch
Untertitel: 
Englisch

Wenn es einen Menschen gibt, der Matthew Lancit nachhaltig beschäftigt, dann ist das sein Onkel Harvey. Die Augen dunkel umrandet, blass, blind, die Beine amputiert. Wie Harvey leidet auch der Filmemacher an Diabetes. Die Erkrankung hat er grundsätzlich unter Kontrolle, doch stets treibt ihn die Frage um: Wie lange noch? Verlässlich kreist seine Langzeit(selbst)beobachtung um die Angst vor Siechtum und Verstümmelung. Den befürchteten Body-Horror überführt er ins Filmische, inszeniert sich als Zombie, Vampir, desolate Figur. Lancit nimmt seinen potenziellen Verfall also spielerisch vorweg und fährt dafür ein ganzes Arsenal an Effekten auf, die – Videoaufnahmen beweisen es – bis in seine Jugend zurückreichen. Dabei erinnert das „dead“ im Titel nicht umsonst auch an „dad“. Denn „Play Dead!“ verhandelt auch die eigene Vaterrolle.

Lancit bezieht seine Familie intensiv in seine Fantasien mit ein, lässt sie zu Dämonen werden und gemeinsam durchs Wohnzimmer wanken. Die Dokumentierung der eigenen Diabetes erlaubt so zugleich einen Einblick in ein modernes Pariser Familienleben samt zweier kleiner Kinder und einer Partnerin, die das Treiben ihres Mannes zumeist wohlwollend begleitet. Lancits Herangehensweise überschreitet bewusst Grenzen, öffnet Körper, Seele und Haustür. Ergebnis ist ein humorvolles und bisweilen verstörendes Selbstzeugnis.

Carolin Weidner

Credits DOK Leipzig Logo

Regie
Matthew Lancit
Buch
Matthew Lancit
Kamera
Matthew Lancit
Schnitt
Ariane Mellet
Produktion
Simon P.R. Bewick
Ton
Jules Wisocki
Sound Design
Jan Vysocky, Stéphane Rives
Musik
Etienne Nicolas
Broadcaster
ARTE/LA LUCARNE
Camera Lucida 2022
Filmstill Salamone, Pampa
Salamone, Pampa Heinz Emigholz
Betongewordene Hybris ragt in der argentinischen Pampa rund um Buenos Aires gen Himmel. Die Bauten des Francisco Salamone (1897–1959) künden von einer unbarmherzigen Moderne.
Filmstill Salamone, Pampa

Salamone, Pampa

Salamone, Pampa
Heinz Emigholz
Camera Lucida 2022
Dokumentarfilm
Deutschland
2022
62 Minuten
ohne Dialog
Untertitel: 
Keine

Schlachthäuser mit aufgesetzten Betonklingen, monumentale Friedhofsportale auf flachem Land: Architekt Francisco Salamone (1897–1959) prägte das Bild der argentinischen Pampa rund um Buenos Aires. In Teil 34 seiner Filmreihe „Photographie und jenseits“ tastet Heinz Emigholz einmal mehr Baukunst auf biografische Spuren ab. Salamone, als Kind aus Sizilien eingewandert, verwirklichte seine Ideen zwischen 1936 und 1940 – als Mussolinis Italien die Architektur als ideologisches Gewerk neuentdeckte.

Beim Rathaus von Coronel Pringles scheinen Äxte in die Fassaden zu schlagen. Anderswo wachsen steinerne Baumpilze. Und vorm Friedhof von Saldungaray formiert sich, von der Rückseite aus betrachtet, ein gigantischer Pfannkuchen oder eine Satellitenschüssel, während vorn ein leidender Jesuskopf aus dem Beton hängt. Monumentale Entwürfe, hier und da mit Elementen des Art déco oder des italienischen Futurismus versehen, die hoch in den Himmel ragen und Bedeutung markieren. Francisco Salamone wirkte in den Jahren der „Década infame“, jenes berüchtigte Jahrzehnt, auf das wenig später die Präsidentschaft Juan Peróns folgte. Ungastlich und voller Hybris muten die Gebäude an. Von Moderne und Fortschritt sollten sie künden und erhoben sich doch schreckensgleich über die Bauernschaft des Landes. Heinz Emigholz dokumentiert die einschüchternden Bauwerke aus allen erdenklichen Winkeln.
Carolin Weidner

Credits DOK Leipzig Logo

Regie
Heinz Emigholz
Buch
Heinz Emigholz
Kamera
Heinz Emigholz, Till Beckmann
Schnitt
Till Beckmann, Heinz Emigholz
Produktion
Irene von Alberti, Frieder Schlaich
Ton
Esteban Bellotto, Christian Obermaier, Jochen Jezussek
Filmvertrieb
Frieder Schlaich
Camera Lucida 2022
Filmstill Swing and Sway
Swing and Sway Chica Barbosa, Fernanda Pessoa
Im Umbruchsjahr 2020 – inmitten von Pandemie, Wahlkämpfen und antirassistischen Protesten – beginnen zwei Freundinnen einen filmischen Dialog zwischen São Paulo und Los Angeles.
Filmstill Swing and Sway

Swing and Sway

Vai e vem
Chica Barbosa, Fernanda Pessoa
Camera Lucida 2022
Dokumentarfilm
Brasilien
2022
82 Minuten
Portugiesisch (Brasilien),
Englisch,
Spanisch
Untertitel: 
Englisch

Ein Film, zwei Frauen, drei Regeln: ein einjähriger Video-Briefwechsel, im Rhythmus von drei Wochen und nach dem Vorbild experimenteller Filmkünstlerinnen. In den Umbrüchen von 2020 – inmitten von Pandemie, Wahlkämpfen und antirassistischen Protesten – beginnen die Freundinnen Fernanda Pessoa und Chica Barbosa ihren Dialog zwischen São Paulo und Los Angeles. In nachdenklichen, teils verspielten Bildessays suchen sie auch nach feministischen kinematografischen Formen für den weiblichen Körper.

Marie Menken, Yvonne Rainer, Chick Strand, Cheryl Dunye und Ximena Cuevas sind nur einige der namhaften Experimentalfilm-Inspirationen für „Swing and Sway“. Schon im Vorspann werden die sechzehn Referenzen benannt, und entsprechend groß ist die stilistische Vielfalt: Schwarz-Weiß und Farbe, Analog- und Digitalbild, Textinserts und Voiceover, CGI und Stop-Motion, Überblendungen, Überbelichtungen, Farbeffekte. In diesem cinephilen Potpourri geben Clips der politischen Ereignisse Orientierung. „Ich habe ein Brasilien unter Bolsonaro für die Vereinigten Staaten von Trump verlassen“, reflektiert Barbosa ihren Status als Immigrantin, der ihr politische Teilhabe verwehrt. Derweil wird Pessoa im Rahmen der Kommunalwahlen von São Paulo zur Aktivistin und stellt sich eine Frage, mit der auch andere linke Bewegungen auf 2020 zurückblicken werden: „Wir haben nicht gewonnen – aber wir sind vorangekommen?“
Jan-Philipp Kohlmann

Credits DOK Leipzig Logo

Regie
Chica Barbosa, Fernanda Pessoa
Kamera
Chica Barbosa, Fernanda Pessoa
Schnitt
Chica Barbosa, Fernanda Pessoa
Produktion
Jessica Luz
Ton
Chica Barbosa, Fernanda Pessoa
Musik
Aline Araújo, Julia Teles, Thiago Zanato
Filmvertrieb
Renato Manganello
Camera Lucida 2023
Filmstill The Apocalyptic Is the Mother of All Christian Theology
The Apocalyptic Is the Mother of All Christian Theology Jim Finn
Obwohl von Antisemitismus und Faschismus vereinnahmt, war der Apostel Paulus historisch doch ein Revolutionär. Eine psychedelische Montage, ein wilder Ritt durch 2000 Jahre wüste Propaganda.
Filmstill The Apocalyptic Is the Mother of All Christian Theology

The Apocalyptic Is the Mother of All Christian Theology

The Apocalyptic Is the Mother of All Christian Theology
Jim Finn
Camera Lucida 2023
Dokumentarfilm
USA
2023
64 Minuten
Englisch
Untertitel: 
Keine

Nach dem siegreichen Feldherrn des amerikanischen Bürgerkriegs Ulysses S. Grant hat sich Maverick Jim Finn diesmal den Apostel Paulus vorgenommen. Zwischen beiden liegen 18 Jahrhunderte, doch ist diesen historischen Über-Figuren manches gemein. Beide haben epochemachend gewirkt, mussten dafür ausgedehnte Expeditionen unternehmen, und beide haben allerhand Propaganda inspiriert, einschließlich zahlreicher Brettspiele, die auch Finns jüngstem Film ein visuelles Gerüst liefern. Vor allem bleiben beide bis heute umstritten, wobei Paulus’ Wirken, der dünnen Faktenlage geschuldet, Steilvorlagen zu noch weitaus krasseren Auslegungen gab und gibt. Einige der unerhörtesten zitiert der Film in einer eklektizistischen Montage von rotstichigen Sandalenfilmausschnitten, christlich-fundamentalistischen Talkshows, Cartoons, Kinderbüchern, Dioramen, Themenparks und Auftritten von Zauberern und verzückten Chören.

Der kuriose Titel bezieht sich auf eine Schrift des deutschen Theologen Ernst Käsemann, dessen Forschungen Paulus den Antisemiten entrissen, die sich seiner bemächtigt hatten, und ihn zurück in die Tradition jüdischer Mystik stellten. Darum bemüht sich auch Jim Finns Film, der in einem wilden Ritt durch die Geschichte zweitausend Jahre Vereinnahmung und Propaganda genüsslich seziert.

Christoph Terhechte

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Regie
Jim Finn
Buch
Jim Finn
Kamera
Jim Finn
Schnitt
Dean De Matteis, Jim Finn
Produktion
Jim Finn
Co-Produktion
Cat Mazza
Sound Design
Alexander Panos, Jesse Stiles
Musik
Colleen Burke
Animation
Matt Loudon
Filmvertrieb
Tom Colley
Camera Lucida 2023
Filmstill The Tuba Thieves
The Tuba Thieves Alison O’Daniel
Aus kalifornischen Schulen werden Tubas gestohlen. Was macht das Fehlen eines Klanges mit der Wahrnehmung von Musik? Eine amüsante, vielschichtige Reflexion über das Hören und Nicht-Hören.
Filmstill The Tuba Thieves

The Tuba Thieves

The Tuba Thieves
Alison O’Daniel
Camera Lucida 2023
Dokumentarfilm
USA
2023
91 Minuten
Englisch
Untertitel: 
deutsche Untertitel für Menschen mit eingeschränkter Hörfähigkeit, Englisch

Eine Serie von Tuba-Diebstählen, die sich vor zehn Jahren in kalifornischen Schulen ereignete, ist Ausgangspunkt einer vielschichtigen und amüsanten Reflexion über Töne und Musik, wie diese sich in Bildern wiederfinden und mit Worten zu beschreiben sind. Die Künstlerin Alison O’Daniel erzählt aus der Perspektive von Tauben Menschen; ihr Film gleicht einer musikalischen Komposition, die ihr Thema in mehreren Sätzen variiert.

In einer Sequenz ist der anschwellende Lärm eines Passagierflugzeugs zu hören, das in geringer Höhe über ein Wohngebiet fliegt und allmählich die Windgeräusche übertönt, ehe man seinen Schatten über die Häuser huschen und erst dann die Quelle des Lärms selbst sieht. Die Untertitel, ein integraler Bestandteil dieses Films, beschreiben die Geräusche nicht nur mit verblüffender Präzision, sondern beziffern auch ihren Schalldruck in Dezibel.

Der Wechsel von Passagen mit und ohne Ton motiviert uns, differenzierter, konzentrierter, gezielter wahrzunehmen. Das Motiv des Hörens, der Geräusche, der akustischen Umweltverschmutzung steht im Zentrum des Films, mehr als das Narrativ der mysteriös verschwundenen Tubas, auch mehr als die imponierende Protagonistin Nyeisha „Nyke“ Prince, die in „The Tuba Thieves“ eine Taube Schlagzeugerin verkörpert. Der Tuba-Diebstahl ist vor allem eine Metapher: Was macht das Fehlen eines Klangs mit der Wahrnehmung?

Christoph Terhechte

Credits DOK Leipzig Logo

Regie
Alison O’Daniel
Buch
Alison O’Daniel
Kamera
Derek Howard
Schnitt
Alison O’Daniel, Zack Khalil
Produktion
Alison O’Daniel, Su Kim, Maya E Rudolph, Rachel Nederveld
Filmvertrieb
Shoshi Korman
Camera Lucida 2022
Filmstill We Had the Day Bonsoir
We Had the Day Bonsoir Narimane Mari
Narimane Mari widmet ihrem mittlerweile verstorbenen Gefährten, dem Künstler Michel Haas, ein berührendes Porträt, das vom Abschied erzählt. Eine kontemplative Hommage an die Liebe.
Filmstill We Had the Day Bonsoir

We Had the Day Bonsoir

On a eu la journée bonsoir
Narimane Mari
Camera Lucida 2022
Dokumentarfilm
Frankreich
2022
61 Minuten
Französisch,
Englisch
Untertitel: 
Englisch

Narimane Mari widmet ihrem mittlerweile verstorbenen Geliebten, dem Künstler Michel Haas, ein berührendes Porträt, das vom Abschied erzählt. Eingefangen werden vor allen Dingen die kleinen alltäglichen Momente – Straßenszenen, die Arbeit im Atelier, gemeinsam Filme schauen, sich im Bett gegenseitig vorlesen. Die Abwesenheit einer herkömmlichen Narration, lange Kameraeinstellungen und intensive Gespräche laden zum Sinnieren über das eigene Verhältnis zur Endlichkeit ein.

Ein immer wieder eingestreutes Potpourri an Gedichten, Prosa und Musik von Nâzım Hikmet über Stéphane Mallarmé bis Sun Ra gibt dem Film seinen ganz eigenen, gemächlichen Rhythmus. Auch die Szenen im Atelier sind von dieser Stimmung getragen. Wie bei Jackson Pollock entsteht die Kunst zumeist am Boden. Doch statt mit Leinwand und dünnflüssiger Farbe arbeitet Michel Haas mit Tusche, großformatigen Papierbögen und heißem Wasser. Fröhlich summend, traktiert er mit festen Hieben der bloßen Hand das aufgeweichte Papier, bis Kanten, Knicke und Falten entstehen. Die abstrakten Umriss- und Flächenformen geben sich erst aus der Ferne betrachtet als Figuren zu erkennen: Häufig sind es ineinander verschlungene Paare. Eine kontemplative Hommage an die Liebe.
Samuel Döring

Credits DOK Leipzig Logo

Regie
Narimane Mari
Kamera
Narimane Mari, Nacer Medjkane
Schnitt
Narimane Mari
Produktion
Narimane Mari
Ton
Antoine Morin, Benjamin Laurent
Filmvertrieb
Pascale Ramonda
Camera Lucida 2022
Filmstill When There Is No More Music to Write, and Other Roman Stories
When There Is No More Music to Write, and Other Roman Stories Éric Baudelaire
Eine opulente filmische Collage, die um das Schaffen des Komponisten Alvin Curran und das menschliche Bedürfnis kreist, sich mithilfe von Musik in der Welt zurechtzufinden.
Filmstill When There Is No More Music to Write, and Other Roman Stories

When There Is No More Music to Write, and Other Roman Stories

When There Is No More Music to Write, and Other Roman Stories
Éric Baudelaire
Camera Lucida 2022
Dokumentarfilm
Frankreich
2022
59 Minuten
Englisch
Untertitel: 
Keine

Die Entführung und Ermordung des Politikers Aldo Moro; vier aufgeschlitzte Reifen, die einem Blumenhändler das Leben retten sollten; der verschollene Soundtrack zu Antonionis Spielfilm „Zabriskie Point“; das Aufeinandertreffen zweier Avantgarde-Komponisten; Archivmaterial und Found Footage – das sind die Bestandteile dieses „frei komponierten“ Films, der von der Stadt Rom durchdrungen ist und den menschlichen Drang zur steten Rebellion gegen die These vom Ende der Geschichte stellt.

Musik ist für den US-amerikanischen Elektronik-Komponisten Alvin Curran, dessen Gedanken- und künstlerische Welt im Zentrum von Éric Baudelaires ausnehmend reichhaltiger Collage steht, ein Vehikel, welches uns an Orte trägt, die wir nie zuvor bereist haben. In Rom, wo sich Curran in den 1960er Jahren niederließ, begegnete ihm damals der um einiges erfahrenere Berufskollege Franco Evangelisti und schockierte ihn mit der Frage: „Wissen Sie denn nicht, dass es gar keine Musik mehr zu schreiben gibt?“ Baudelaires kongeniale Montage von Film- und Tonfragmenten legt nahe, dass Currans Solo-Werk – wie auch seine Arbeiten mit dem bahnbrechenden Kollektiv „Musica Elettronica Viva“ – die Antwort auf Evangelistis Frage ist: Wir müssen uns die Welt immer wieder neu zusammensetzen.
Christoph Terhechte

Credits DOK Leipzig Logo

Regie
Éric Baudelaire
Kamera
Éric Baudelaire
Schnitt
Claire Atherton
Produktion
Éric Baudelaire
Ton
Éric Lesachet