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Nagellack, General, Maultier. John Smith rezitiert aus einem Text des Linguisten Herbert H. Clark. Die Wörter bringen passende Bilder hervor, meinen aber etwas anderes.
Nagellack, General, Maultier. John Smith rezitiert aus einem Text des Linguisten Herbert H. Clark. Die Wörter bringen passende Bilder hervor, meinen aber etwas anderes.
In aller Ruhe erkundet die Kamera die Löcher und Risse einer Klippe, die Spuren des Ozeans. Die karge Landschaft wirkt wie aus der Zeit gefallen. Noch vor einigen Jahrzehnten warfen Fischer ihre Fangkörbe von hier aus ins Wasser, mittlerweile ist das Meer rund um Malta längst leer gefischt. Punta, ein schnauzbärtiger Inselbewohner, will es noch einmal wissen.
Aus den Haaren eines Pferdeschweifes wird eine Reuse geflochten, ein in Vergessenheit geratenes Handwerk demonstriert. Ein zwischengeschnittener Super-8-Film dokumentiert die Vielfalt des einstigen Meereslebens, von den grobkörnigen Bildern geht etwas Unwiederbringliches aus. Ein Krake ringelt sich um einen Fuß, eine Qualle schwebt durchs ewige Blau. Melancholisch blickt Punta auf die See, weit unter ihm schlagen die Wellen wie eh und je auf die Felsen. Dennoch ist der Anblick trügerisch, denn er und wir wissen, dass sich kein Fisch in die Reuse verirren wird. Der raue Gesang einer Frauenstimme setzt ein.
Ein Film um ein Mädchen mit einer Leidenschaft: Die Kleine begeistert sich für alles, was hoch hinaus fliegt. Auf der Schaukel lässt sie sich anschubsen, bis sie fast aus dem Bild verschwindet, und sie liebt ihren neuen Luftballon. Doch dann gerät sie in die Fänge eines Vogelhändlers, der sie in seiner Wohnung im obersten Stock eines Hochhauses einsperrt. Der einzige Weg nach draußen führt über das Fenster.
Ein riesiges, leuchtendes Gebilde mit dem Antlitz von Rocky Balboa zieht durch die Nacht, rätselhaft und wie aus einer anderen Welt. Erst allmählich offenbart sich die tatsächliche Größe. Sissel Morell Dargis erzählt die unglaubliche Geschichte der „Baloeiros“, einer Untergrundkultur im Herzen von Brasiliens Favelas. Diese losen Gruppen haben sich dem Bauen, Steigenlassen und Jagen von Heißluftballons verschrieben. Das klingt nicht besonders spektakulär? Wer die gigantischen Objekte aus feinem Seidenpapier sieht, die oft populäre Figuren wie Karate Kid oder Superman abbilden, wird aus dem Staunen so schnell nicht herauskommen! Solch ein Ballonstart, dem manchmal Jahre des Schweißens und Klebens in heimlichen Werkstätten vorausgehen, ist nämlich nicht nur ein logistisch komplexes Unterfangen. Es ist auch gefährlich. Denn die „Baloeiros“, die mit ihrer Leidenschaft keinen Centavo verdienen, werden als kriminelle Vereinigung verfolgt.
Es dauert eine ganze Weile, bis Morell Dargis das Vertrauen dieser verborgenen Gemeinschaft gewinnt. Die Ballons dienen ihr dabei auch als Metapher für ein Land, das sich in einer politisch ebenso fragilen wie festgefahrenen Situation befindet, in dem die am Rande der Gesellschaft sich Durchschlagenden kaum auf ihre Rechte pochen können. Ein intimer, vielschichtiger und actiongeladener Film, der gängige Vorstellungen vom Leben in den Favelas auf den Kopf stellt.
Photosensitivity warning: Enthält Lichteffekte, die bei erhöhter Lichtempfindlichkeit Überreaktionen auslösen können.
Zum ersten Mal seit sechs Jahren arbeitet Barbara Morgenstern, die Pionierin des elektronischen Wohnzimmer-Pop, wieder an einem neuen Album. Der Laptop steht auf einem Schuhkarton, in der häuslichen Intimität findet sie erste Zeilen und Harmonien: „Ich bin gern allein“, so fängt ein Song an. Nach und nach kommen Musiker*innen dazu. Die intuitiven Ideen nehmen Formen an. Ein Fenster ist geöffnet. Es folgen Arrangements, Proben, Aufnahmen. Die Musik geht schrittweise hinaus in die Öffentlichkeit, Bilder werden hergestellt, Videos, Narrative. Fragen stehen im Raum: Neuanfang oder zurück zu den Wurzeln? Neues Biedermeier oder knallharter politischer Kommentar? Je größer die Band, desto riskanter das Booking. Je krisenhafter die Umwelt, desto tröstlicher das Musikmachen.
Sabine Herpich zeigt das Entstehen eines Pop-Albums als Arbeitsprozess. Der Blick ist so uneitel wie die Protagonistin, die ruhige Beobachtung nicht an Story und Glamour interessiert, sondern an Nähe und Nachvollzug. Warum jemand künstlerisch arbeitet, versteht man, auch wenn es nicht erklärt wird. Barbara Morgenstern teilt, was sie bewegt: „Die Liebe zur Sache / zum Rest der Welt / ich bin mir sicher / dass das noch zählt.“
Identität ist eine Mythe. Berthold Barluschke, ehrgeiziges Rädchen im DDR-Außenhandelssystem, hat mehrfach Namen und Rollen gewechselt. Thomas Heise begleitet ihn beim Umzug. Von Mittenwalde ging es einst nach New York, jetzt verlässt er seine Familie in Paris. Ein polyglottes Agentenleben mit kleinbürgerlichem Hintergrund. Barluschke arbeitete für den DDR-Geheimdienst und den Bundesnachrichtendienst, immer bemüht, das Beste für sich herauszuholen. „Worüber wäre denn wirklich zu reden?“, fragt der Filmemacher. Das unmögliche Unterfangen, dem professionellen Vorspieler mit Mitteln des Dokumentarfilms beizukommen, führt zu einer der freiesten, fragmentarischsten Arbeiten in Heises Gesamtwerk. Bei DOK Leipzig mit der Silbernen Taube ausgezeichnet, seitdem aber selten aufgeführt.
„Es sind Orte wie Laikipia, die einige Kenianer*innen fragen lassen: Sind wir wirklich unabhängig?“ Seit Jahrhunderten ist die Region im zentralkenianischen Hochland Weidegebiet für die Tiere der Samburu. Mit der Kolonialisierung haben sich dort auch Weiße niedergelassen, bauten Ranches und betrieben Viehzucht. Nach der Unabhängigkeit Kenias 1963 blieben sie. Die Beziehungen zwischen ihnen und den Einheimischen waren bisher ganz gut, wenn auch distanziert. Der Klimawandel erhöht jedoch das Konfliktpotenzial im Land und verschärft die Konkurrenz um Ressourcen.
Unter den Auswirkungen der globalen Erwärmung leidet Laikipia seit mehreren Dekaden. Lange Dürreperioden zerstören das Grasland, auf das die Samburu-Hirt*innen und ihre Herden angewiesen sind. Die Ranches der weißen Viehzüchter*innen, nicht zuletzt auch die privat verwalteten und streng bewachten Naturschutzareale zerschneiden deren angestammte Wanderrouten und versperren den Weg durch Elektrozäune. Als Wahlen anstehen, drohen die Auseinandersetzungen zu eskalieren. Daphne Matziaraki und Peter Murimi begleiteten Kenianer*innen aller Streitparteien über einen Zeitraum von fünf Jahren und geben ihnen in diesem Film die Chance, ihre Geschichte zu erzählen.
Thematisiert Tod, Mord
Im Norden färben sich die Blätter an den Bäumen bunt, der Winter steht vor der Tür. Noch tobt die Bärin mit ihrem Freund, dem Vogel, über die Hügel am Wald, aber so langsam müsste sie sich in den Winterschlaf zurückziehen. Als es soweit ist, denkt sie sehnsüchtig an Vogel, der nun schon weit in den Süden gezogen ist. Sie beschließt, die Welt zu bereisen, um ihm zu folgen. Ein Filmabenteuer für Groß und Klein.
Die Welt im Stillstand. Im Ölhafen von Augusta an der Südostküste Siziliens liegen bunt bemalte Kreuzfahrtschiffe. Ihr Glanz verblasst täglich mehr. Im ausgebrannten, farbstichigen 16mm-Filmmaterial erscheinen sie so untauglich für die Zukunft wie die hinter ihnen sichtbaren Raffinerie-Anlagen. Wann, wenn nicht im Frühsommer 2021 wäre die Zeit zur Reflexion und Neubewertung je reifer gewesen?! Alte, ausbeuterische Wirtschaftssysteme, die Menschen aus Europa fernhalten und nur Rohstoffe hineinlassen, sind im Lockdown. Ihre Zukunft kann man sich nicht vorstellen. Aber gibt es ein Zurück? Zum sanften Sound der Wellen, der Vögel und Insekten schwebt der Rauch der Industriebetriebe in die Schornsteine zurück. Doch die Bilder haben Schaden genommen.
„Was ist ein Name? Was uns Rose heißt, wie es auch hieße, würde lieblich duften.“ Das berühmte Zitat des noch berühmteren Dichters aus Stratford-upon-Avon schwebt sinnhaft über der neuesten Arbeit des britischen Experimentalfilmers John Smith. In einem der ersten Gags des Films versichert Smith sogar, dass einer seiner Schulkameraden, ein gewisser William Shakespeare Smith, genauso schikaniert worden sei wie er selbst. Mit einem der durchschnittlichsten Namen der englischen Sprache gestraft, schildert der Regisseur, welchen Einfluss das auf sein nunmehr sieben Dekaden währendes Leben und Wirken hatte. Dabei schlägt er aus der Kombination seiner trockenen Off-Kommentare mit Fotos, Dokumenten, Schnipseln aus der eigenen Filmografie und anderem „sachdienlichen“ Bildmaterial urkomische Funken. Smiths hintergründige Auflistung namensbezogener Demütigungen durchstreift mit Vergnügen Nebenwege, die immer wieder zu Hauptsachen führen: Klassengesellschaft, Zustand der Welt, Sterblichkeit. Die Zwischentitel geben noch eine Extraportion ironischer Selbstzerfleischung dazu, die das ganze Unternehmen in Richtung Autofiktion schiebt. Politisch, erfrischend witzig und auf leise Art berührend, stellt „Being John Smith“ unter Beweis, dass Humor in Verbindung mit Stringenz und Intelligenz selbst die starrste aller Kategorien zu überwinden vermag. Was könnte lieblicher sein?
Insekten unterschiedlicher Spezies finden zusammen. Sie installieren eine Bühne, auf der sich ein Rausch aus Farben und Texturen entwirrt. Seltsame Figuren begegnen uns in den strophenartigen Segmenten dieses animierten Experiments. Die bildlichen Assoziationen erwachsen aus einem Klangstück von Xabier Erkizia, das er anlässlich eines Interviews mit dem 2007 verstorbenen Musiker Santiago Irigoyen komponierte.
Ausgehend von der Kinderparty, mit der der chinesische Künstler und Filmemacher Zhang Shengjia 2006 im Schnellrestaurant KFC seinen neunten Geburtstag feierte, spannt sein essayistischer Archivfilm eine heitere Kulturgeschichte der Geburtstagstorte aus chinesischer Perspektive auf. Der Brauch gelangte Anfang des 20. Jahrhunderts aus Westeuropa und Nordamerika nach China und vermischte sich mit den heimischen Geburtstagstraditionen. Der seit Deng Xiaopings Wirtschaftsreformen in den 1980er Jahren stetig wachsende Einfluss der westlichen Konsumkultur zeigte sich 1990 exemplarisch am Eröffnungstag der landesweit allerersten McDonald’s-Filiale in Shenzhen, an dem fast 13.000 Kund*innen zu verzeichnen waren.
Der lakonisch kommentierte Streifzug durch eine bunte Materialauswahl von Film-, Werbe- und Fotoarchivalien aus mehreren Jahrzehnten führt vom ersten Geburtstagstorte essenden chinesischen Kaiser und frühen Pionieren des Cakedesigns bis hin zur Kommerzialisierung und Politisierung von Küche und Esskultur.
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