Stundenlang ist er in den staubigen Straßen Kabuls, wo es keine Straßenschilder, geschweige denn Hausnummern gibt, unterwegs. Entweder man kennt sich aus oder ist angewiesen auf Auskünfte. Der Postbote Walid Nazir führt uns durch den Alltag einer Stadt, die man aus den Nachrichten nur im Zusammenhang mit Terror und Anschlägen kennt. Dabei gibt es auch in Afghanistans längst ein Alltagsleben, das sich allmählich aus Jahrzehnten des Krieges und der Verwüstungen zwischen den bescheidenen Behausungen, von denen man nicht weiß, ob sie Ruinen oder einfach nur ärmlich sind, herausschält. Normalität bedeutet hier Improvisation. Wer einmal das Postamt gesehen hat, mit seinem kaputten Ofenrohr und Briefen, die in allen Ecken des Raumes verteilt liegen, weil es zu wenig Sortierkästen gibt, wundert sich, wie aus diesem Chaos heraus ein Schreiben je zu seinem Adressaten findet. Aber der Schein trügt, hier wird nichts unversucht gelassen, die Briefe ordentlich zuzustellen. Die Kamera ist dem von einer großen Narbe gezeichneten Nazir beharrlich auf den Fersen, während er sich mit seinem federndem Gang von geradezu detektivischem Ehrgeiz getrieben von Straße zu Straße durchfragt, vorbei an den kleinen Tischen, wo Schreiber ihre Dienste anbieten. Man würde dem Frieden ja gern trauen, wenn da nicht doch noch überall Armeeposten wären, wo Soldaten gelangweilt in der Sonne dösen. Dahingegen wirkt Nazir wie ein Sendbote des Vertrauens.
– Cornelia Klauß