Es gibt Orte, die einem unmittelbar bewusst machen, dass sie uns nicht brauchen, nie gebraucht haben. Sie existieren, auch wenn sie von uns nicht angeschaut werden. Die Weihnachtsinsel, ein 135 Quadratkilometer winziger Flecken im Indischen Ozean, ist so ein Ort. Sie erblickte ihren ersten Menschen wohl 1643. Kaum auszudenken, wie die endemischen roten Krabben, die bis dahin allein mit sich, dem tropischen Dickicht und den schneeweißen Sandstränden waren, über den sich großmäulig als „Entdecker“ aufspielenden Gast gestaunt haben müssen! Das Flüchtlingsauffanglager auf der Weihnachtsinsel ist noch so ein Ort. Seit 2001 setzt die australische Regierung hier Asylsuchende fest, um ihnen das Recht auf ein reguläres Aufnahmeverfahren auf dem Festland vorzuenthalten. Die Krabben staunen weiter.
In Gabrielle Bradys bild-, ton- und metapherngewaltigem Filmnachdenken über Gastrecht und Duldsamkeit begegnen wir diesem Staunen – poetisch verdichtet, emotional eindringlich und politisch geschärft. Zunächst in Gestalt der Trauma-Therapeutin Poh Lin, die Insassen des Internierungslagers dabei hilft, ihr Schicksal zu fassen, während sie selbst um Fassung ringt. Dann als mythische Geschichte von den umherirrenden Geistern der Toten, die sich die chinesischen Einwanderer erzählen. Und schließlich in der wuchernden, wimmelnden, unbeeindruckt daseienden Natur, die wächst und kriecht, wohin sie will.
Sylvia Görke
Nominiert für den Dokumentarfilmpreis des Goethe-Instituts