Filmarchiv

Internationaler Wettbewerb 2018
Charleroi, the Land of 60 Mountains Guy-Marc Hianant

Stadtporträt vor dem Hintergrund einer Vergangenheit, die nicht mehr existiert, und einer Zukunft, die noch keine Gestalt angenommen hat. Essayistisch-poetischer Großversuch.

Charleroi, the Land of 60 Mountains

Dokumentarfilm
Belgien
2018
126 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Cyril Bibas
Regie
Guy-Marc Hianant
Kamera
Vincent Pinckaers
Schnitt
Simon Arazi
Animation
Dominique Goblet
Ton
Laszlo Umbreit
Charleroi, ehemaliges Zentrum der westeuropäischen Kohle- und Stahlindustrie. Einst auch eine Hochburg der Flachglasproduktion. Lange Zeit war dies eine Stadt auf dem Abstellgleis. Inzwischen ist sie aber mitten im Strukturwandel angekommen, was jedoch, wie das Wort schon sagt, auch wieder nur ein Provisorium bedeutet. Wie gibt sich der Geist dieses Gemeinwesens heute zu erkennen? Artikuliert er sich zeitlich oder räumlich? Horizontal oder vertikal? Ist er eher sportlich oder doch künstlerisch? Wohnt er in der gebauten Umgebung oder in den Gesichtern und Körpern der Bewohner? Vielleicht ist es einfach ein kompliziertes Mischverhältnis? Oder ein kompliziert Einfaches?

Der belgische Schriftsteller, Verleger, Musikproduzent und Filmemacher Guy-Marc Hinant ist gebürtiger wie bekennender „Carolorégien“. Und er hat sich daran gemacht, ein komplexes Porträt seiner Stadt zu komponieren. Poetische Heimatkunde mit gewaltiger Flügelspannweite. Große Ereignisse und kleine blinde Flecken und manchmal das eine im anderen. Alles in allem ein essayistisches Itinerarium entlang der persönlichen Mythologie des Regisseurs.

Ralph Eue
Internationaler Wettbewerb 2018
Letter to Theo Élodie Lélu

Élodie Lélu stand dem griechischen Regisseur Theodoros Angelopoulos professionell wie privat nahe. Dies ist die Rückkehr in ein Athen, das sich nach dessen Tod 2012 erneut verwandelt hat.

Letter to Theo

Dokumentarfilm
Belgien
2018
63 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Isabelle Truc
Regie
Élodie Lélu
Kamera
Tristan Galand
Schnitt
Philippe Boucq
Buch
Élodie Lélu
Ton
Félix Brume, Bruno Schweiguth
Während der Dreharbeiten zu seinem letzten Film stirbt der griechische Regisseur Theodoros Angelopoulos im Januar 2012. Élodie Lélu, eine enge Mitarbeiterin und Vertraute Angelopoulos’, erinnert in „Letter to Theo“ an sein Werk und verwebt das Griechenland, welches der zum Zeitpunkt seines Todes 76-Jährige noch erlebt hat, mit dem gegenwärtigen. Lélus Film erzählt von beiden Krisen, der „Griechenland-Krise“ und der „Flüchtlingskrise“, verschachtelt sie ineinander und lässt Angelopoulos, jenen „Filmemacher der Migration“, sprechen, ohne dessen Worte für ein eigenes Bildwerk zu missbrauchen.

Wie Wellen steigen ihre Gedanken abwechselnd auf und wieder ab, vermischen sich Ausschnitte aus den Filmen des Griechen mit den dokumentarischen Aufnahmen der Französin Lélu, die in Angelopoulos’ Visionen starke Niederschläge im Jetzt erkennt. Sie sagt, der Regisseur sei der Krise zum Opfer gefallen – ein Melancholiker, enttäuscht von der Welt. Doch ausgerechnet in dieser wieder neuen Welt, in der eine multinationale Fußballmannschaft in unmittelbarer Nähe zum Quartier der neonazistischen Partei Goldene Morgenröte trainiert, meint Lélu Dinge auszumachen, die den Bewunderten dazu hätten bringen können, wieder an die Politik zu glauben.

Carolin Weidner
Internationaler Wettbewerb 2018
Ojo Guareña Edurne Rubio

Betritt man die gigantischen Ojo-Guareña-Höhlen in Nordspanien, betritt man auch den Mond, nur eben auf der Erde. Ein Ort der menschlichen Abgründe und Träume, der die Sinne gefangen nimmt.

Ojo Guareña

Dokumentarfilm
Belgien,
Spanien
2018
55 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Andrea Cinel
Regie
Edurne Rubio
Musik
Charo Calvo
Kamera
Edurne Rubio, Sergi Gras, Alvaro Alonso de Armiño
Schnitt
Jan De Coster
Buch
Edurne Rubio
Ton
Hugo Fernandez, David Elchardus
Im nordspanischen Kantabrien erstreckt sich ein gigantisches Höhlensystem mit eindrucksvollen unterirdischen Felsgalerien, Seen und Krauchgängen. Edurne Rubio begegnet dem Ort in wahrlich kinematografischen, sinnlichen Dimensionen. Bei ihrem neugierigen Vorstoß ins Unbekannte verlässt sie sich auf die Stimmen der Höhlenforscher, die sie begleitet, sowie auf den Schein, der von ihren Stirnlampen herrührt. Sie verlässt sich im großen, undurchdringlichen Dunkel auf tanzende Lichtpunkte in der Ferne, auf Lichtkegel, die tastend über Gesteinsformen gleiten, sowie auf Tropfgeräusche, die den Höhlenräumen akustisch Konturen verleihen. Feine, unruhige Wasserfäden und -perlen glänzen silbern an den Wänden und bilden metertief unter der Erde einen unglaublichen Sternenhimmel. Während Neil Armstrong 1969 lediglich seine eigenen Fußabdrücke auf dem Mond sah, stoßen die noch jungen Höhlenforscher in Ojo Guareña auf 17.000 Jahre alte Fußspuren – Speläologie ist eben eine Raum-Zeit-Reise. Und wie die Stimmen der Tiefenerkunder berichten, spielten die verzweigten unterirdischen Räume auch eine bedeutende Rolle in ihren eigenen Biografien. Wenn Augen („ojos“) die Fenster zur Seele sind, dann offenbarte ihnen der Ort den menschlichen Abgrund der jüngeren Geschichte Spaniens und bot ihnen gleichzeitig ein Refugium vor einem repressiven Alltag und Platz für Träume von der Zukunft.

André Eckardt

The Event

Dokumentarfilm
Belgien,
Niederlande
2015
74 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Sergei Loznitsa, Maria Choustova, Nicola Mazzanti
Regie
Sergei Loznitsa
Schnitt
Sergei Loznitsa, Danielius Kokanauskis
Buch
Sergei Loznitsa
Ton
Vladimir Golovnitski
Wie schon in früheren Filmen verwendet Sergei Loznitsa Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus Archiven, um damit Geschichte zu rekonstruieren, wenn nicht zu konstruieren. Es sind Bilder des historischen Ereignisses, das den endgültigen Zerfall der Sowjetunion einleitete: der gescheiterte Putschversuch am 19. August 1991. In den Straßen von Sankt Petersburg, das damals noch Leningrad hieß, stehen die Menschen. Die Kamera bewegt sich durch die Massen und erfasst Gesichter, ihr Ausdruck: nichtwissend. Sie alle warten und hören den endlosen Verlautbarungen zu.

Loznitsas gekonnte künstlerische Intervention betrifft die Tonspur. Während des dreitägigen Coup d‘État sendete das staatliche Fernsehen der UdSSR – wie stets in Krisensituationen – ununterbrochen Aufzeichnungen des Tschaikowski-Balletts „Schwanensee“. Der Regisseur nimmt das Musikmotiv auf, es gliedert den Film in Kapitel. Die Berichterstattung aus dem Radio ist ein weiteres narratives Element, das Loznitsa zu seinem Quasi-Kommentar macht und damit den Zustand der Unsicherheit, des Nicht-Wissens und der Nicht-Information unterstreicht. Dennoch geht es nicht um eine Neu-Interpretation der Geschichte, sondern eher darum, die Oberfläche des Realen zu durchdringen und nach Deutungsmöglichkeiten zu suchen – in der Hoffnung, zu einer Erkenntnis zu gelangen, wie Aufstände und Machtwechsel generell funktionieren.

Zaza Rusadze



Ausgezeichnet mit dem Filmpreis "Leipziger Ring"

Internationaler Wettbewerb 2017
When the Bull Cried Karen Vázquez Guadarrama, Bart Goossens

Bildgewaltige Exkursion in die bolivianischen Anden, wo Bergarbeiter auf den großen Fund hoffen. Lebensgefährliche Arbeitsbedingungen, archaische Rituale und große Träume dicht an dicht.

When the Bull Cried

Dokumentarfilm
Belgien,
Bolivien
2017
66 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Tomas Leyers
Regie
Karen Vázquez Guadarrama, Bart Goossens
Musik
Bram Bosteels
Kamera
Karen Vázquez Guadarrama
Schnitt
Tom Denoyette
Buch
Karen Vázquez Guadarrama, Bart Goossens
Ton
Bart Goossens
In den bolivianischen Anden erheben sich gigantische Viertausender majestätisch in den Himmel. Grau-blau fließen schroffe Steilwände und weiße Wolkengebirge ineinander. Die Menschen hier leben vom Bergbau. Sie steigen hinab in die steinigen Eingeweide und bauen unter Lebensgefahr Silber und andere Mineralien ab. Regelmäßig brechen die eiskalten, dunklen Minenschächte ein und begraben die Arbeiter, viele davon noch Kinder, bei lebendigem Leibe. Es heißt, wer im Schacht stirbt, dessen Seele muss für drei Tage umherwandern, immer auf der Flucht vor „el tío“, dem bösen Gott des Berges. Der Angst begegnet man mit Alkohol und Koka, der Aberglaube treibt immer neue Blüten. Vor allem die Männer leben in einer Schleife von Arbeit, Alkohol und Aggression, hoffen Tag für Tag auf den großen Fund und versuchen, die Geister durch Opfergaben gnädig zu stimmen. Mit archaischen Ritualen soll Mutter Erde beruhigt werden, doch der Blick in die erschöpften Gesichter der Menschen lässt erahnen, dass ihr Glaube mit jeder Todesnachricht mehr erschüttert wird.

Ein bildgewaltiger Film, dem es gelingt, einen in die atemberaubende Umgebung der Anden mitzunehmen, ohne daraus eine Geografiestunde werden zu lassen. Eindringlich, beängstigend und bewegend – großes Kino über den Wolken.

Luc-Carolin Ziemann


Nominiert für Healthy Workplaces Film Award