Filmarchiv

Arid Zone

Dokumentarfilm
Brasilien
2019
76 Minuten
Untertitel: 
englische

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Antônio Junior, Fernanda Pessoa
Fernanda Pessoa
Pedro Santiago
Rodrigo Levy
Germano de Oliveira, Mari Moraga
Fernanda Pessoa
Daniel Turini

Mesa in Arizona, östlich von Phoenix und gut 200 Kilometer von der Grenze zu Mexiko entfernt, gilt als die konservativste Stadt in den USA. 2001 war Fernanda Pessoa als Austauschschülerin in Mesa zu Gast. Sie war damals 15 Jahre alt. 15 Jahre später kehrte sie zurück, in den Wochen vor der Präsidentenwahl, bei der Donald Trump gewann. Ausgehend von zahlreichen Fotografien aus der damaligen Zeit, sucht Pessoa die Begegnung mit Menschen, die sie als Teenager kennenlernte. Sie findet einen neuen Zugang zu den Vereinigten Staaten, sie erlebt nun alles deutlich bewusster, schließlich ist sie inzwischen erwachsen geworden. Mit ihrem früheren Selbst führt sie einen inneren Dialog, während sie dieses Land neu entdeckt, dessen Bewohner sich so viel darauf einbilden, dass es ihres ist: Amerika. Das Land der Feuerwaffen und der eigentümlichen Sportarten, das Land, das die Shoppingmall erfand und den Western. Pessoa zitiert den Philosophen Baudrillard, für den Amerika wie eine Fiktion wirkte. Mit ihrem Film macht sie daraus eine Wirklichkeitserfahrung, bei der sie am Ende auch mehr über ihr eigenes Land begreift: „Unser kultureller Kolonialismus kam zurück, um uns abzukassieren.“ „Arid Zone“ (Arizona) setzt dem Kolonialismus den sanften Widerstand genauer Beobachtung entgegen. Bert Rebhandl





Lobende Erwähnung im Next Masters Wettbewerb Langer Dokumentar- and Animationsfilm.


Next Masters Wettbewerb 2018
Cinema Morocco Ricardo Calil

Obdachlose besetzen den ehemals glamourösen Kinopalast in São Paulo. Ein Theaterworkshop ruft die Vergangenheit des Gebäudes wach – und kreiert Projektionsflächen für zerrüttete Biografien.

Cinema Morocco

Dokumentarfilm
Brasilien
2018
76 Minuten
Untertitel: 
englische

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Eliane Ferreira, Pablo Iraola
Ricardo Calil
André Namur
Loiro Cunha, Carol Quintanilha
Jordana Berg
Ricardo Calil
Flávio Guedes, Ricardo Pinta
An die glanzvolle Vergangenheit des Cine Marrocos’ in São Paulo erinnert heute nur noch ein kurioser Nachrichtenfilm. Er zeigt, wie Irene Dunne, Erich von Stroheim und Abel Gance 1954 zum ersten Internationalen Filmfestival von Brasilien in den luxuriösen Kinopalast schaulaufen, und dass Fubuki Koshiji beim Stolpern ihren „zarten östlichen Fuß enthüllt“ (Originalton). Vierzig Jahre später stand das zwölfstöckige Gebäude plötzlich leer – zwei Dekaden lang. Als die angekündigte Renovierung auf sich warten ließ, wurde es 2013 von einer Gemeinschaft von Obdachlosen besetzt. Zeitweilig lebten 2.000 Menschen aus 17 Ländern in der ausgeweideten und mit Graffitis gesäumten Bauruine.

Auf Initiative des gleichnamigen Filmprojekts wurden im wiedereröffneten Kino Filme aus dem ersten Festivaljahr vorgeführt und ein Theaterworkshop ins Leben gerufen. Dabei erarbeiteten die schauspielenden Besetzer ikonische Filmszenen, etwa aus „Boulevard der Dämmerung“, „Die große Illusion“, „Julius Caesar“ und „Abend der Gaukler“. Vor dem Hintergrund der drohenden Zwangsräumung dokumentiert der Film die von den zerrütteten Biografien „mitgeschriebene“ Theaterarbeit, an deren Ende kinematografische Reenactments stehen. Norma Desmond, Marcus Antonius, die Kunstreiterin Anne und der Jagdflieger Maréchal werden buchstäblich zu Projektionsflächen – für so unterschiedliche Erfahrungen wie Kriegstraumata, Depression, Wohlstandsekel und postkoloniale Entfremdung.

Esther Buss



Goldene Taube im Next Masters Wettbewerb Langfilm


Next Masters Wettbewerb 2019
Guaicurus Street João Borges

Ein Rotlichtviertel in Belo Horizonte. Die Kamera erhält Einlass in ein Laufhaus. Käufliche Liebe erscheint hier mal als routiniert-triste Fließbandübung, mal fast schon als Komödie.

Guaicurus Street

Dokumentarfilm
Brasilien
2019
75 Minuten
Untertitel: 
englische
deutsche

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João Borges, Thais Mol (Yara Filmes), Mariana Andrade
João Borges
Lucas Oscilloid, Pedro Durães
Lucas Barbi
Fabian Remy
João Borges
Lucas Oscilloid, Marcel Dadalto, Pedro Durães, Victor Brandão
Ein Rotlichtviertel in Belo Horizonte. Die Bordelle werben um ihre Kundschaft in allen Farben der Nacht. Die Fenster stehen hier meist offen, vor der Tür sitzt höchstens ein Typ auf einem Plastikstuhl. Die Kamera erhält Einlass in eines der Laufhäuser. Wir sehen in einer Totalen, fast wie auf einem Überwachungsbildschirm, Männer in einem schlichten Gang von Tür zu Tür, von Frau zu Frau huschen. Bei einigen der Verhandlungen aber sind wir plötzlich dicht dabei („3 Positionen für 25 Real“), und irgendwann folgt ein „unmöglicher“ Schnitt: ein Gegenschuss von der anderen Seite der Tür her, aus dem Zimmer der Frau heraus. Wir sehen Sexarbeiterinnen beim Aufräumen, beim Abhängen, beim miteinander Klatschen. Sie erzählen von Gewalt, von vorgetäuschten und von echten Orgasmen. Aber wir sehen auch Sexszenen, mit Schauspielern nachgestellt, in denen die käufliche Liebe mal als routiniert-triste Fließbandübung, mal fast schon als Komödie erscheint.

Wenn der Film die Grenzen zwischen einem dokumentarischen und einem fiktionalen Blick systematisch verwischt, dann hat das mit dem Wunsch zu tun, den Frauen ihre Würde zu lassen und die geläufigen Elendsbilder zu vermeiden. Es hat aber auch etwas damit zu tun, dass Sex nie zu trennen ist von Fiktionen und Projektionen.

Lukas Foerster
Next Masters Wettbewerb 2017
Paulistas Daniel Nolasco

Im Irgendwo der brasilianischen Savanne überlebt Paulistas. Die ländliche Region hat ihre Jugend verloren, Risse von Natureingriffen bekommen und färbt trotzdem alles mit ihrer Seele.

Paulistas

Dokumentarfilm
Brasilien
2017
76 Minuten
Untertitel: 
englische

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Matheus Peçanha, Lidiana Reis, Daniel Nolasco, Thiago Yamachita, Aline Mazzarella
Daniel Nolasco
Larry Sullivan
Will Domingos
Daniel Nolasco
Jesse Marmo
Im Irgendwo der zentralbrasilianischen Savanne überlebt Paulistas. Die ländliche Region hat ihre Jugend verloren, Risse in den Häusern bekommen und trotz alledem ihre Würde bewahrt. Weide, Fluss, spartanisch eingerichtete Interieurs – wie die Landschaft und die Lebensräume dehnen sich die Bilder und Klänge des Films sanftmütig, aber mit beeindruckender Kraft aus. Ruhige, hervorragend kadrierte Einstellungen und perfekt gesetzte Klänge können ausreden, ohne schwatzhaft zu werden. Sie porträtieren die landwirtschaftliche Arbeit und den Alltag der Menschen. Sie zeigen in der Verlassenheit eine von den Bewohnern aufrechterhaltene Wärme.

„Paulistas“ kann besingen, aber verzichtet auf Verklärung. Die philanthropischen Beteuerungen, die die Betreiber des nahegelegenen Staudamms über das Fernsehen versenden, fallen im Film in sich zusammen – wie die beschädigten, unbewohnbaren Häuser infolge der Natureingriffe. Und dann ist Juli und die Jugend kehrt für die Ferien kurzzeitig zurück. Sternenhaft leuchtet im nächtlichen Maisfeld das Mobiltelefon beim Tippen von Liebesnachrichten, und das Motorrad zieht eine geschwungene Staublinie durch die gesamte Breite der sommerlichen Weiden. Motivisch erklingen schwer beschreibbare Klänge zwischen Maschinenmetall und Blechblasinstrument. Paulistas ist von Umständen geprägt und färbt trotzdem alles mit seiner Seele.

André Eckardt

The Third Shore

Dokumentarfilm
Brasilien,
Frankreich
2016
57 Minuten
Untertitel: 
englische

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André Hallak
Fabian Remy
Rafael Martini
Lucas Barbi
Fabian Remy, Bruno Carboni
Fabian Remy
Osvaldo Ferreira
1953 nehmen die Gebrüder Villas-Bôas, Pioniere des Indigenismus in Brasilien, erstmals Kontakt mit den Kayapó auf und halten die freundschaftliche Begegnung auf körnigem Schwarz-Weiß-Film fest. Sie sehen die Konflikte zwischen Stamm und Nationalstaat voraus und verstehen sich als Vermittler. Zu ihrer Überraschung entdecken sie unter den Indianern einen jungen Weißen: João stammt von brasilianischen Siedlern ab und wurde als Kind im Zuge anhaltender Fehden von den Kayapó entführt und großgezogen. Als er nun den Weg zurückgeht, beginnt für ihn ein Leben zwischen zwei Welten, ohne feste Heimat.

Für Fabian Remy ist die Geschichte eine Vorlage, um eine bis heute gespaltene Gesellschaft zu beschreiben, auch wenn er João selbst nicht mehr lebend vorfindet. An dessen Stelle begibt sich Thini-á mit dem Regisseur auf die biografische Spurensuche und durchlebt einen gespiegelten Identitätskonflikt. Er verließ seinen Stamm und zog in die Megastadt Rio de Janeiro, nachdem er die Zersetzung der indigenen Kultur durch die moderne Zivilisation erlebte. Doch die Sehnsucht zieht ihn immer öfter zurück zu seinen Wurzeln. Der Film nimmt seine Pendelbewegung formal auf und begleitet Thini-á auf seinen Fahrten durch staubige Ebenen und das Amazonasgebiet – als eine anhaltende dokumentarische Reise. Passend auch zu João, der sein späteres Leben als Fährmann zwischen den Ufern verbrachte.

Lars Meyer