Filmarchiv

Internationales Programm 2019
God Christopher Murray, Israel Pimentel, Josefina Buschmann

Es gibt Marienstatuen und fromme Lieder, aber auch abgebrannte Kirchen und blasphemische Komiker im Jesuskostüm. Orte, Dinge und Handlungen der Religion, verzeichnet auf einer planen Fläche.

God

Dokumentarfilm
Chile
2019
64 Minuten
Untertitel: 
englische

Credits DOK Leipzig Logo

Produktion
Diego Pino Anguita
Regie
Christopher Murray, Israel Pimentel, Josefina Buschmann
Kamera
Adolfo Mesías
Schnitt
Andrea Chignoli, Javiera Velozo
Buch
Antonio Luco, Josefina Buschmann, Israel Pimentel
Ton
Diego Aguilar
Um eine Karte zu zeichnen, die nicht auf eine Perspektive reduzierbar ist, bedarf es vielleicht tatsächlich mehr als nur eines Autors. „Mapa filmico de un pais“, „filmische Karte eines Landes“ lautet der ausgeschriebene Name des Kollektivs MAFI, zu dem sich siebzehn chilenische Filmemacherinnen und Filmemacher zusammengeschlossen haben. Die Karte, die sie zeichnen, verbindet Orte, Dinge und Handlungen der Religion auf einer planen Fläche, ohne Hierarchien, Einordnungen, Wertungen: Es gibt dies hier und dies hier, aber dann gibt es auch noch jenes. Es gibt Marienstatuen, fromme Lieder und einsame Gebete, aber es gibt auch abgebrannte Kirchen und einen blasphemischen Komiker im Jesuskostüm. So formt sich eine Collage, die gleichzeitig ein Streitbild ist.

Der Besuch des Papstes 2018 in Chile ist Leitmotiv und Brandbeschleuniger. Die Bruchlinien konturieren sich schärfer: dogmatischer Konservativismus gegen emanzipatorische Potenziale, vielgestaltiger Volksglaube gegen Einheitsreligion als Medienspektakel. Tausende jubeln dem Papamobil zu, doch im Bildvordergrund üben Skater unbeeindruckt ihre Sprünge. Der Papst ist wohl an den Kapitalismus verloren, aber gilt das auch für den Glauben insgesamt?

Lukas Foerster
Internationales Programm 2014
Naomi Campbel Camila José Donoso, Nicolás Videla

Paula, Transsexuelle in einem schäbigen Vorort von Santiago de Chile, braucht Geld für die finale OP. Eine Reality-TV-Show bietet sich an … Sehnsucht im Minenfeld der Vorurteile.

Naomi Campbel

Dokumentarfilm
Chile
2013
83 Minuten
Untertitel: 
englische

Credits DOK Leipzig Logo

Produktion
Rocío Romero, Catalina Donoso
Regie
Camila José Donoso, Nicolás Videla
Kamera
Matías Illanes
Schnitt
Nicolás Videla, Daniela Camino
Buch
Nicolás Videla, Camila José Donoso
Ton
Roberto Collío
Paula Yermén ist eine Transsexuelle, die in einem schäbigen Vorort von Santiago de Chile lebt. Ihr persönliches Drama ist ihre Armut. Denn die Operation, die aus ihr eine vollkommene Frau machen könnte, ist nicht billig. Paulas einzige Chance liegt deshalb in einer Reality-TV-Show, die eine Geschlechtsumwandlung bezahlen würde. Zum Preis einer vollständigen körperlichen und seelischen Entblößung vor dem Publikum. So wie Paulas Geschlecht irgendwie „dazwischen“ liegt, haben auch die beiden Regisseure eine erzählerische Zwischenform gewählt: tagebuchartige Skizzen, die Paula mit einem Camcorder gedreht hat, eigenes dokumentarisches Material und zurückhaltend inszenierte Momente, beispielsweise zwischen Paula und ihrem Liebhaber. Diese Methode macht insofern Sinn, als der Film das Ergebnis ihrer zweijährigen Zusammenarbeit mit Paula darstellt. Sie ist weniger klassische Protagonistin als vielmehr Darstellerin ihrer Selbst im Minenfeld traditioneller gesellschaftlicher Vorurteile. Ihre Sehnsucht, sich in einem neuen Körper neu zu erfinden, steht hierbei in merkwürdigem Widerspruch zu ihrer spirituellen Haltung, die auf ihre halb-indigene Herkunft verweist. Die Geister, die sie um Hilfe anruft, sprechen zur Seele, nicht zu mechanisch hergestellten neuen Körpern. Doch zu dieser Einsicht kann Paula erst gelangen, nachdem sie im Casting scheitert und kein Fluchtweg mehr bleibt.
Matthias Heeder
Internationales Programm 2018
Petit Frère Roberto Collío, Rodrigo Robledo

Wir sehen ein Splitterbild der haitianischen Einwanderercommunity in Chile. Dokumentiert von unten, durch sämtliche Bild- und Zeitschichten hindurch: dezentral und assoziativ.

Petit Frère

Dokumentarfilm
Chile
2018
69 Minuten
Untertitel: 
englische

Credits DOK Leipzig Logo

Produktion
Isabel Orellana Guarello
Regie
Roberto Collío, Rodrigo Robledo
Musik
Cerrito Corto
Kamera
Matías Illanes
Schnitt
Mayra Morán
Buch
Roberto Collío, Rodrigo Robledo
Ton
Flavio Nogueira
Die Menschen wollen den Mars bereisen: Tabula rasa mit der Zivilisation. Gesellschaftsavantgarde. Die Planeten wachsen zusammen, allein die Zukunft lässt noch immer auf sich warten. In der Moneda, dem Präsidentenpalast in Santiago de Chile, geht der Spürhund Valyente seiner Arbeit nach, überprüft Stuhlreihen und Kanapees auf Sprengstoff. Der Hund stammt aus Haiti, genau wie Petit-Frère Wilner, der wie viele seiner Landsleute nach Chile immigrierte. Nachts arbeitet er als Tankwart, tagsüber als Herausgeber eines Magazins für die haitianische Community. Verfasst in kreolischer Sprache, bekam auch Valyente seinen eigenen Artikel.

Angeleitet von der Off-Stimme Petit-Frères entwerfen Roberto Collío und Rodrigo Robledo ein Splitterbild der haitianischen Einwanderercommunity in Chile, das sich bewusst auf keine stabile Perspektive zurückführen lässt: Wir sehen Blasmusikvereine und Schwimmrennen, Satelliten- und Stummfilmbilder, Dokumente der Vergangenheit und Visionen der Zukunft – assoziativ und frei, halb recherchiert, halb geträumt. Die Realität ist der imaginäre Gegenstand der Suche nach ihr. Es gibt keinen Zugriff auf sie, aber es gibt immer die Möglichkeit, sie zu filmen.

Lukas Stern