Es war – so die „IG Erdgastrasse“ auf ihrer noch im deutsch-sowjetischen Freundschaftsstil gehaltenen Website – ein „Bauwerk des Jahrhunderts“, das mit dem Spatenstich am 6. Juni 1966 im fast-arktischen Westsibirien begonnen wurde, in den Vorperestroika-Jahren (zum Schrecken Reagans) reale transkontinentale Form annahm und heute beispielsweise den Rohstoffbedarf eines der wichtigsten rituellen Ereignisse Westeuropas deckt: den Rheingas-betriebenen Rosenmontagszug in Köln. Die „Urengoy–Pomary–Uzhgorod-Trasse“ erstreckt sich vom autonomen Kreis der Jamal-Nenzen bis zum Golf von Biskaya, so unbemerkt wie alles, was mit unserer Energieversorgung zu tun hat. Doch geopolitisch-ökologisch-ökonomisch ist die Pipeline eine riesige Goldader – mit klaren Konsequenzen (Abhängigkeiten, Technikgläubigkeit, Umweltschäden).
Entlang der unterirdischen Fährte erkundet Vitaly Mansky, den es zuletzt mit „Motherland or Death“ nach Kuba zog, diesmal unsere eigene fremde Heimat. Den politisch widerspenstigen Dok-Maître interessiert der Alltag jener, die neben und über der Trasse leben, nicht notwendigerweise jedoch von ihr (wo kein Geld, da kein Gas): indigene Eisfischer, orthodoxe Kirchenprozessionen, Putin-wählende Tuba-Bläser, Gorbatschow-kritische Veteranen, aufgebrachte Roma, fluchende Polen und marienverehrende Polinnen. Er kokettiert mit dem Klischee, weicht ihm aber geschickt aus. Big-Screen-Cinema, bildgewaltig und mit tollem Sounddesign.
Barbara Wurm
Ausgezeichnet mit dem MDR-Filmpreis 2013