Das könnte Hollywood sein: Zwei Cops stürmen im Morgengrauen ein Haus, zerren einen Teenager aus dem Kinderzimmerbett, verfrachten ihn ins Auto, fahren mit ihm durch die endlose amerikanische Weite. Ausbruchsversuch, Verfolgungsjagd, die Fahrt endet in einem Umerziehungslager für renitente Kinder mitten in der Wüste. – Das ist Hollywood. Am Fuß der Berge mit dem berühmten Schriftzug begibt sich Jon Bang Carlsen, bekannt für die ständige Auslotung der dokumentarischen Realität und ihrer Konstruiertheit, auf die Suche nach einem Traum, der hier permanent generiert wird: der von der glücklichen Familie. Lachende Kinder und fürsorgliche Eltern – ein Bild, das wir alle in uns tragen und dem wir ewig nachrennen.
Es ist die Suche nach dem eigenen verlorenen Vater, die sich zu einem großen Essay über Liebe, Verantwortung und Moral verdichtet. Aussagen eines jungen Mannes, der die gnadenlose „Intervention“ durchlief, Berichte von Officers der „Eingreiftruppe“ sowie persönliche Reflexionen werden von Bildern des sauberen, suburbanen Mittelschicht-Amerika konterkariert. Es geht um ein Weltbild: Wer sich nicht an „Gesetze“ (wessen?) hält, wird bestraft – egal ob Kinder von ihren Eltern oder andere Völker von Uncle Sam. Der Traum von der heilen Welt, die man so kreiert, ist nichts als Fiktion – weshalb Carlsen die Grenzen des Dokumentarischen hier wieder weit überschreitet.
Grit Lemke