Nachrichten aus dem Dunkel der Nacht sind wie Reisen in eine andere Wirklichkeit. Weshalb der Bürger, tagsüber die in den Schatten gedrängten Schwestern und Brüder souverän ignorierend, nachts auch lieber die Vorhänge zuzieht: Vor den Flucht-Welten, den Migranten-Welten, den fragilen Überlebensökonomien derer, die man nicht sieht. Diese Nacht aber, in die uns der iranisch-französische Regisseur Bijan Anquetil entführt, ist anders. Sie funktioniert wie der Entwickler in einem analogen Fotolabor, der Gesichter, Schicksale, Verlangen und Niederlagen langsam aus der Unsichtbarkeit auftauchen lässt. Unter einer Brücke in einem Pariser Industrieviertel begegnet Anquetil Sodan und Hamid, zwei afghanische Illegale. Ein improvisiertes Lagerfeuer, am Himmel ein verlorener Mond, aber keine Spur von Müdigkeit oder Verdruss. Statt dessen ist Anguetils Nacht erfüllt von Hunger nach Leben, von Gelächter, Plänen und immer neuen Geschichten. Die kurzen Filme, die Hamid während des langen Marsches in das Land der Verheißung mit seinem Handy aufgenommen hat, durchbrechen die Dunkelheit ihres Nachtlagers wie der Strahl einer Taschenlampe: mal fällt das Licht auf die Flucht-LKWs im griechischen Hafen Patras, mal auf ein brennendes Flüchtlingslager, mal auf Demonstranten, die Asyl fordern. Kurze Flashbacks, die auch von der verlorenen Zeit des Wartens berichten. Und hier liegt das wirkliche Problem dieser Passagiere der Nacht: dass sie ihr Ziel erreichten, ohne jemals angekommen zu sein und damit nicht mehr Herr sind über ihre Zeit.
Matthias Heeder
Lobende Erwähnung im Internationalen Wettbewerb für kurze Dokumentarfilme 2012