Filmarchiv

Jahr

Night's Drifters

Dokumentarfilm
Frankreich
2012
45 Minuten
Untertitel: 
englische

Credits DOK Leipzig Logo

Kamera
Paul Costes
Schnitt
Alexandra Mélot
Buch
Bijan Anquetil
Nachrichten aus dem Dunkel der Nacht sind wie Reisen in eine andere Wirklichkeit. Weshalb der Bürger, tagsüber die in den Schatten gedrängten Schwestern und Brüder souverän ignorierend, nachts auch lieber die Vorhänge zuzieht: Vor den Flucht-Welten, den Migranten-Welten, den fragilen Überlebensökonomien derer, die man nicht sieht. Diese Nacht aber, in die uns der iranisch-französische Regisseur Bijan Anquetil entführt, ist anders. Sie funktioniert wie der Entwickler in einem analogen Fotolabor, der Gesichter, Schicksale, Verlangen und Niederlagen langsam aus der Unsichtbarkeit auftauchen lässt. Unter einer Brücke in einem Pariser Industrieviertel begegnet Anquetil Sodan und Hamid, zwei afghanische Illegale. Ein improvisiertes Lagerfeuer, am Himmel ein verlorener Mond, aber keine Spur von Müdigkeit oder Verdruss. Statt dessen ist Anguetils Nacht erfüllt von Hunger nach Leben, von Gelächter, Plänen und immer neuen Geschichten. Die kurzen Filme, die Hamid während des langen Marsches in das Land der Verheißung mit seinem Handy aufgenommen hat, durchbrechen die Dunkelheit ihres Nachtlagers wie der Strahl einer Taschenlampe: mal fällt das Licht auf die Flucht-LKWs im griechischen Hafen Patras, mal auf ein brennendes Flüchtlingslager, mal auf Demonstranten, die Asyl fordern. Kurze Flashbacks, die auch von der verlorenen Zeit des Wartens berichten. Und hier liegt das wirkliche Problem dieser Passagiere der Nacht: dass sie ihr Ziel erreichten, ohne jemals angekommen zu sein und damit nicht mehr Herr sind über ihre Zeit.

Matthias Heeder



Lobende Erwähnung im Internationalen Wettbewerb für kurze Dokumentarfilme 2012

Int. Wettbewerb Kurze Dokfilme 2014
T's World: The Over-identification of Terry Thompson Ramon Bloomberg

Der unerhörte Fall eines Amerikaners, der wilde Tiere züchtete und sich ihnen zum Fraß vorwarf, mit Anleihen an episches Theater, griechische Tragödie und Play-Station-Ästhetik.

T's World: The Over-identification of Terry Thompson

Animadok
Frankreich,
UK,
USA
2014
29 Minuten
Untertitel: 
keine

Credits DOK Leipzig Logo

Produktion
Ramon Bloomberg
Regie
Ramon Bloomberg
Kamera
Ramon Bloomberg
Schnitt
Stark Haze
Animation
József Szimon, Balázs Őrley
Am 18. Oktober 2011 erhält der Sheriff von Zanesville in Ohio einen aufgeregten Anruf: Die Tiere, die der Sonderling Terry Thompson völlig legal auf seiner Ranch hält, würden durch das County streifen. Alarm! Ein schwer bewaffneter Polizeitross tötet in jener Nacht über 56 Bären, Tiger, Wölfe, Leoparden und Löwen. Thompson hatte die Käfige geöffnet, sich erschossen und den Tieren seinen Körper als Nahrung angeboten. So weit, so gut, so amerikanisch.
Das bizarre Geschehen verwandelt der britische Medienkünstler Ramon Bloomberg in eine Erzählung Brecht’scher Prägung. Dessen Lehrstück „Der Jasager“, das überlieferten Brauch und formalisiertes Gesetz thematisiert, verbindet Bloomberg mit der anarchistischen Freiheitslogik der amerikanischen Siedlermentalität, die jede Staatlichkeit als Einschränkung individueller Freiheitsrechte bekämpft: Ich bin der Herr über meine Tiere, mein Land, mein Haus, meine Familie. Basta!
Bloomberg übersetzt episches Theater in die Sprache des Films zu Zeiten der Play-Station-Spiele. Realaufnahmen wechseln mit Bildern der Videokamera aus Streifenwagen, Google-Earth-Data-Mining-Sequenzen und computeranimierten Reenactments. Dazu hören wir Protokolle und Aussagen der Beteiligten sowie einen Kommentar in Form des (antiken) Chors, der Stimme des Gesetzes, des Nachbarn und des Tiers. Nur Terry Thompson hören wir nicht. So bleibt sein Motiv ein großes Geheimnis.

Matthias Heeder



Lobende Erwähnung im Internationalen Wettbewerb Animationsfilm 2014

Int. Wettbewerb Kurze Dokfilme 2014
The Predicate and the Poppy Jeanne Paturle, Cécile Rousset

Der Alltag junger Lehrer in einer Pariser Banlieue: Anarchie und Chaos, Big Bang und tanzende Zahlen, wild animiert. Fröhliche Reflexion über eine Misere.

2013

The Predicate and the Poppy

Animadok
Frankreich
2013
24 Minuten
Untertitel: 
englische

Credits DOK Leipzig Logo

Produktion
Valérianne Boué, Luc Camili
Regie
Jeanne Paturle, Cécile Rousset
Musik
Thomas Dappelo
Schnitt
Mélanie Braux
Animation
Jeanne Paturle, Cécile Rousset
Buch
Jeanne Paturle, Cécile Rousset
Ton
Manuel Vidal
Wenn Ritter aufmarschieren, unbekannte Flugobjekte durch die Luft schwirren und sich der Raum plötzlich in ein undurchdringliches Labyrinth verwandelt, dann befinden wir uns im Klassenzimmer einer ganz gewöhnlichen Schule am Stadtrand von Paris. So in etwa erleben fünf junge Lehrer die erste Zeit ihres Arbeitsantritts. Und da Worte kaum auszudrücken vermögen, „was so abgeht“ an einer Schule, greifen Jeanne Paturle und Cécile Rousset auf das reiche Arsenal an Animationsfilmtechniken zurück, um diese Mischung aus Verzweiflung, Anarchie und Chaos in Bilder zu übersetzen. Mittels Fotocollage, Flachbildanimation, Knetfigurentechnik und klassischem Zeichentrick entsteigen historische Persönlichkeiten den Geschichtsbüchern, lässt sich der Big Bang rekonstruieren und beginnen Zahlen zu tanzen. Der Film explodiert förmlich! Aber er will mehr und vor allem nicht über die Bildungsmisere lamentieren. Nur, wenn der Lehrer selbst zum Lernenden wird, indem er das Alphabet der Straße und die Klaviatur eines jedes einzelnen Schülers kapiert, kann sich der Albtraum Schule vielleicht in einen Freiraum verwandeln.
Cornelia Klauß