Stalin und die Kirche? Im georgischen Tsromi steht er davor rum. Zwar ist seine Aura abgeblättert, die rechte Hand kam ihm ebenso abhanden wie das einstige Reich, und sein Blick schweift nur über Kühe und Gänse auf der staubigen Dorfstraße – doch immerhin hatte man ihn ein halbes Jahrhundert lang in Ruhe gelassen. Bis ein Nonnenkloster nicht nur das einstige Kulturhaus, sondern auch die Kirche samt Hof beansprucht und Stalin weichen soll. Die Emotionen schlagen hoch: Kann man es den Nonnen zumuten, mit einem Mann, der die Religion erbittert bekämpfte, quasi unter einem Dach zu leben? Aber trug nicht die Kolchose seinen Namen, und war damals nicht alles besser? War er ein Mörder? Hatten sich die Dorfmädchen nicht alle in ihn verliebt, als er einst in Tsromi weilte? Ist es an der Zeit, Buße zu tun – oder wäre eine Disko nicht besser als ein Kloster?
In pittoresken Bildern und mit dem absurden Humor georgischer Komödien umkreist Shalva Shengeli einen Mythos. Im Reich des Homo Sovieticus, wo „Führer“ zu religiösen Lichtgestalten verklärt werden, man heute Stalin-Bilder neben Ikonen aufreiht und die orthodoxe Kirche kürzlich einen Stalin-Kalender veröffentlichte, fragt er nach dem Umgang mit der Vergangenheit, wenn die Gegenwart nicht allzu rosig aussieht. Väterchen Stalin aber bekommt einstweilen eine neue Hand, um den Seinen den Weg zu weisen …
Grit Lemke