Sein Schaffen zählt zum Eigenwilligsten, das das (russische) Kino in den letzten Jahrzehnten hervorgebracht hat. In „Francofonia“ finden die Idiosynkrasien des „grand auteur“ Alexander Sokurov zu neuen Dimensionen. Eine animiert-fiktionale Dokumentar-Essay-Collage aus historischem Archiv- wie Reenactment-Material zur bewegten Geschichte rund um den Pariser Louvre ist das Resultat, mit Skype-basierter Container-Philosophie, drohnengetriebener Vogelschau auf die Welt von heute und persönlich eingesprochenen (nur wenig raunenden) Kommentaren zur ewig währenden Beziehung von Kunst und Krieg, Humanismus und Macht sowie (Kultur-)Erbe und Ideologie.
Während Hitler in Frankreich einmarschiert (man kennt das aus Ophüls‘ „Le Chagrin et la Pitié“) und Franz Graf von Wolff-Metternich mit Louvre-Direktor Jacques Jaujard über die Evakuierung von Kulturgut im Sinne der „Kunstschutz“-Verpflichtung kollaboriert, schauen aus dem Jenseits mal Frau Marianne, mal Herr Bonaparte zur Tür herein … Oder die beiden russischen Unsterblichen tauchen auf, Tolstoi und Tschechow, jedoch am Sterbebett …
Die großen Nationen, ihr Geist (und ihre Geister), Europa und die Kunst, die Welt und ihr Verbleib. Es sind wilde Assoziationsketten, die hier ausgeworfen werden, und doch ist Sokurov darin ganz bei sich. Erstaunlich angesichts der Wellen, die dem kontemplativen Kunstschaffenden gerade heute entgegenschlagen.
Barbara Wurm