Filmarchiv

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CITIZENFOUR

Dokumentarfilm
Deutschland,
USA
2014
114 Minuten
Untertitel: 
deutsche

Credits DOK Leipzig Logo

Produktion
Dirk Wilutzky, Laura Poitras, Mathilde Bonnefoy
Regie
Laura Poitras
Kamera
Laura Poitras, Kirsten Johnson, Katy Scoggin, Trevor Paglen
Schnitt
Mathilde Bonnefoy
Im letzten Teil ihrer post-9/11-„New American Century“-Trilogie zeigt die vielfach preisgekrönte Regisseurin Laura Poitras, wie sich der sogenannte „Krieg gegen den Terror“ der USA gegen die eigenen Bürger, gegen jedermann richtet. Es geht um Überwachung – auf der politischen, der philosophischen und der psychologischen Ebene. Es geht um Wahnsinn.
Im Januar 2013 wird Poitras, die schon länger zu dem Thema recherchiert und Kunstaktionen veranstaltet hat, von dem noch völlig unbekannten Edward Snowden kontaktiert und bringt mit dem Guardian-Journalisten Glenn Greenwald dessen brisantes Material im Juni an die Öffentlichkeit, kurz darauf auch Interviews mit ihm.
Poitras interessiert die Schnittstelle zwischen Politik und Kunst. So gestaltet sie „CITIZENFOUR“ als Triptychon der Paranoia: Von pseudo-demokratischen Beteuerungen amerikanischer Politiker und den ersten Whistleblowern über die Panoramen riesiger Geheimdienstzentralen führt es in die klaustrophobische Enge des Hotelzimmers in Hongkong, wo Snowden auf den Moment der Enttarnung wartet. Bis kurz vor die Veröffentlichung des Films reichen die Dreharbeiten und bilden ab, was Snowden auslöste.
Poitras geht es in ihrer Kunst darum, uns mit dem Wissen, das uns verfügbar und eben nicht geheim ist, emotional zu verbinden. „CITIZENFOUR“ macht geradezu physisch erfahrbar, was ein autoritärer Überwachungsstaat ist, und dass auch wir mittendrin sitzen. Kein schönes Gefühl.

Grit Lemke



Ausgezeichnet mit dem Filmpreis "Leipziger Ring" 2014

Die Trasse

Dokumentarfilm
Tschechische Republik,
Deutschland,
Russland
2013
121 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Natalia Manskaya, Filip Remunda, Vít Klusák, Simone Baumann
Regie
Vitaly Mansky
Kamera
Alexandra Ivanova
Schnitt
Pavel Mendel-Ponamarev
Buch
Vitaly Mansky
Ton
Dmitry Nazarov
Es war – so die „IG Erdgastrasse“ auf ihrer noch im deutsch-sowjetischen Freundschaftsstil gehaltenen Website – ein „Bauwerk des Jahrhunderts“, das mit dem Spatenstich am 6. Juni 1966 im fast-arktischen Westsibirien begonnen wurde, in den Vorperestroika-Jahren (zum Schrecken Reagans) reale transkontinentale Form annahm und heute beispielsweise den Rohstoffbedarf eines der wichtigsten rituellen Ereignisse Westeuropas deckt: den Rheingas-betriebenen Rosenmontagszug in Köln. Die „Urengoy–Pomary–Uzhgorod-Trasse“ erstreckt sich vom autonomen Kreis der Jamal-Nenzen bis zum Golf von Biskaya, so unbemerkt wie alles, was mit unserer Energieversorgung zu tun hat. Doch geopolitisch-ökologisch-ökonomisch ist die Pipeline eine riesige Goldader – mit klaren Konsequenzen (Abhängigkeiten, Technikgläubigkeit, Umweltschäden).
Entlang der unterirdischen Fährte erkundet Vitaly Mansky, den es zuletzt mit „Motherland or Death“ nach Kuba zog, diesmal unsere eigene fremde Heimat. Den politisch widerspenstigen Dok-Maître interessiert der Alltag jener, die neben und über der Trasse leben, nicht notwendigerweise jedoch von ihr (wo kein Geld, da kein Gas): indigene Eisfischer, orthodoxe Kirchenprozessionen, Putin-wählende Tuba-Bläser, Gorbatschow-kritische Veteranen, aufgebrachte Roma, fluchende Polen und marienverehrende Polinnen. Er kokettiert mit dem Klischee, weicht ihm aber geschickt aus. Big-Screen-Cinema, bildgewaltig und mit tollem Sounddesign.

Barbara Wurm



Ausgezeichnet mit dem MDR-Filmpreis 2013

In Sarmatien

Dokumentarfilm
Deutschland
2013
120 Minuten
Untertitel: 
englische
deutsche

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Produktion
Volker Koepp
Regie
Volker Koepp
Musik
Rainer Böhm
Kamera
Thomas Plenert
Schnitt
Beatrice Babin
Ton
Thomas Huber
Es gibt zwei gegensätzliche Arten, Sarmatien zu beschreiben: als eine Gegend am Rande der bekannten Welt – so sahen es die alten Griechen –, oder als jenen Teil Europas, wo sich das einst sorgfältig vermessene geografische Zentrum des Kontinents befindet. Im Register des aktuellen „Diercke Weltatlas“ wird man Sarmatien indes vergeblich suchen, als Verwaltungseinheit ist es inexistent, und auch Google Maps vermag kein Stück weiterzuhelfen. Dennoch ist Sarmatien kein Hirngespinst.
Für seinen neuen Film ist Volker Koepp dorthin aufgebrochen und lässt uns mit großzügiger Geste teilhaben an seinen Eindrücken und Begegnungen in einer ebenso unbekannten wie eigentlich nahegelegenen Region zwischen Litauen und Weißrussland, zwischen der Ukraine und Polen, welche im Norden an die Ostsee grenzt und im Süden ans Schwarze Meer. Seit langem, mindestens seit 1972, als er „Grüße aus Sarmatien für den Dichter Johannes Bobrowski“ drehte, ist die historische Landschaft in seinem Werk immer wieder präsent. Ähnlich wie Bobrowski sieht auch Volker Koepp hier „jenes Traumland, in dem sämtliche Völker und Religionen ihren Platz fänden, wenn nicht die Geschichte alles eins ums andere Mal umgepflügt hätte“. Die Verwerfungen, die das hinterlassen hat, auch und gerade in den Menschen, die dort leben, und wie diese Menschen trotz allem von innen heraus strahlen, das ist hier aufs Schönste zu erfahren.

Ralph Eue

Sofia's Last Ambulance

Dokumentarfilm
Bulgarien,
Kroatien,
Deutschland
2012
75 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Ingmar Trost, Sutor Kolonko Filmproduktion,Siniša Juričić, Nukleus film d.o.o., Dimitar Gotchev, SIA Ltd, Ilian Metev
Regie
Ilian Metev
Kamera
Ilian Metev
Schnitt
Betina Ip, Ilian Metev
Buch
Ilian Metev
Ton
Tom Kirk
Der Rettungswagen holpert mit uns über die Straßen der bulgarischen Hauptstadt. Dr. Krassimir Jordanow sitzt Kette rauchend am Fenster. Schwester Mila, die ihn liebevoll nur Krassi nennt und dem Nikotin ähnlich zugeneigt ist, sitzt zwischen ihm und dem freundlichen Fahrer Pramen. In dieser großartigen Besetzung besuchen wir die unterschiedlichsten Patienten in Sofia. Herzanfälle, Drogenabhängige, versuchte Abtreibungen und Betrunkene – alles ist dabei. Doch so kaputt wie Sofias Straßen ist auch das bulgarische Gesundheitssystem – gerade dreizehn Rettungswagen fahren durch die 1,2-Millionen-Einwohner-Metropole. Entsprechend anstrengend und zermürbend ist der Job. Da hilft es auch nicht, dass Mila selbst bei den schwierigsten Patienten Ruhe bewahrt und alle mit „Liebling“ und „Schatz“ anredet.
Der Film ist formal konsequent erzählt. Während der Fahrt ist die Kamera fest auf dem Armaturenbrett montiert. Sie blickt nur auf die drei Protagonisten oder die Straße. Selbst zu Hause bei den Kranken, während die besorgten Angehörigen auf das Rettungsteam einreden, sehen wir höchstens ein Bein und den Hinterkopf der Patienten. Keine Interviews, kein Voice-Over, nur Originalton – ein Dokumentarfilm in Reinform. Der Regisseur gewann 2008 den DOK Leipzig-Nachwuchwettbewerb und konnte diesen Film mit dem Preisgeld realisieren.

Antje Stamer



Ausgezeichnet mit der Silbernen Taube im Internationalen Wettbewerb Dokumentarfilm 2012

The Last Station

Dokumentarfilm
Chile,
Deutschland
2012
90 Minuten
Untertitel: 
englische

Credits DOK Leipzig Logo

Produktion
Catalina Vergara, Catalina Vergara Films/Globo Rojo; Co-Producer: Philip Gröning/Philip Gröning Filmproduktion
Regie
Cristian Soto, Catalina Vergara
Je älter man wird, desto kleiner wird der Radius, in dem man sich bewegt, desto langsamer verlaufen alle Handhabungen. Die Zeit scheint zu kriechen. Jeder Gang bedeutet Mühsal und eine kleine letzte Rebellion gegen den Tod, der sich bleiern und unaufhaltsam in den Farben des Herbstes über die Landschaft legt. In allen Verrichtungen versteckt sich Endlichkeit: Die Namen im Adressbuch werden weniger, mit jeder Operation zeigt der Körper einmal mehr seine Grenzen auf und selbst das Fernsehprogramm ist zum Wegdämmern. Und dennoch geht mit dem Verlust Gewinn einher, alles erhält Bedeutung. Es könnte das letzte Mal sein. Die zwei jungen chilenischen Autoren Christian Soto und Catalina Vergara beobachten die Insassen des Altersheims Padre Hurtado voller Empathie und aus großer Nähe. Sie choreografieren diesen Schwebezustand zwischen Leben und Tod in malerischen dunklen Tableaux vivants und fließendem Licht. Die Bilder insistieren auf den Moment des Innehaltens, der Versenkung, nehmen den Rhythmus der Langsamkeit auf und verwandeln ihn in Poesie. Sie trauen sich, von der Wirklichkeit ein Stück abzurücken und in der Tradition des magischen Realismus ein Drittes zu konstituieren, das davon erzählt, wie es ist, schon nicht mehr ganz hier und noch nicht dort zu sein. Darin steckt so viel Schönheit und Erkenntnis, dass es einem die Angst vor dem Tod einen Augenblick lang zu nehmen vermag.
– Cornelia Klauß