Filmarchiv

Jahr

Sections (Film Archive)

Wettbewerb für junges Kino 2012
Beerland Matt Sweetwood

Ein Amerikaner auf Bier-Expedition in das Herz deutscher Identität: Oktoberfest, Brauereien, Bierkönigin, Eckkneipe, Karneval und Schützengilde. Roadmovie voller Spaß und Wahrheit.

Beerland

Dokumentarfilm
Deutschland
2011
85 Minuten
Untertitel: 
deutsche

Credits DOK Leipzig Logo

Produktion
Olaf Jacobs, Hoferichter & Jacobs GmbH
Regie
Matt Sweetwood
Musik
Eike Hosenfeld, Moritz Denis, Tim Stanzel
Kamera
Thomas Lütz, Axel Schneppat
Schnitt
Stefan Buschner, Markus Stein
Animation
Makks Moond
Buch
Matt Sweetwood
Ton
Robert F. Kellner, Raimund von Scheibner

Ein Amerikaner, der sich nach zehn Jahren in Deutschland immer noch fremd fühlt, möchte die Deutschen erkunden. Wo wäre dieses Volk mehr bei sich als am Stammtisch? Und hat nicht schon Tacitus das Trinkverhalten der alten Germanen beschrieben? So begibt sich der Fremde auf Expedition ins Bier-Land. Hinter dieser Rahmenerzählung verbirgt sich das bewährte Konzept der dichten Beschreibung aus der amerikanischen Cultural Anthropology: eine Kultur anhand eines Phänomens oder Rituals zu „lesen“ wie einen Text. Der Selfmade-Ethnologe Matt Sweetwood zelebriert es im Selbstversuch als eine Art Michael Moore der angewandten Bierforschung. Dies führt ihn vom Oktoberfest auf geheimnisvolle „Bierpfade“, in eine Berliner Eckkneipe ebenso wie auf den Kölner Karneval und zu einem Bierkriegs-Spektakel, in eine Privatbrauerei, wie zur Krönung einer Bierkönigin und schließlich gar in eine Schützengilde. Munter bewegt er sich durch die Republik, die deutsche Geschichte und filmische Formen vom Road Movie, der Komödie und Reportage bis hin zur Animation. Er begegnet jeder Menge Tradition, Merkwürdigkeiten und Mummenschanz, mitunter auch dem sprichwörtlich hässlichen Deutschen, dumpf grölend und voll Fremdenhass – meist aber liebenswürdigen Zeitgenossen, die dem Fremden gern erklären, was die einzig wahre Art des Anstoßens ist. Sichtbar wird eine Volkskultur mit Beharrungsvermögen und tatsächlich so etwas wie deutsche Identität. Ja, auch im Bier steckt Wahrheit. – Grit Lemke


Wettbewerb für junges Kino 2014
Die Menschenliebe Maximilian Haslberger

Jochen hat Hausverbot im Bordell, Sven kauft sich Männer und Frauen, beide warten auf die Liebe. Sexualität jenseits der Begriffe gesund, behindert, dokumentarisch und fiktiv.

Die Menschenliebe

Dokumentarfilm
Deutschland
2014
99 Minuten
Untertitel: 
englische

Credits DOK Leipzig Logo

Produktion
Jasper Mielke, Martin Backhaus
Regie
Maximilian Haslberger
Kamera
Sebastian Mez
Schnitt
Katharina Fiedler
Animation
Martin Backhaus
Buch
Maximilian Haslberger
Ton
Martin Backhaus, Jochen Jezussek
Es passiert ganz beiläufig im Hintergrund: eine Frau im Rollstuhl, eine Nebenfigur, lächelt und winkt. Plötzlich hebt ihr Rollstuhl ab und verlässt mit ihr die Erde. Wer es bemerkt, muss sich fragen, was hier noch dokumentarisch ist. In der Tat setzt der Film viele Zeichen, dass er zwischen Dokumentar- und Spielfilm nicht kategorisch unterscheiden will. Seine bewusste Unschärfe, die die Wahrnehmung des Zuschauers kontinuierlich auf die Probe stellt, korrespondiert auf der inhaltlichen Ebene mit seiner Verweigerung der Kategorien „gesund“ und „behindert“. Sexualität und Liebe, und damit sind wir beim Thema, wollen schließlich von allen Menschen gleich gelebt werden. Da ist zum einen Joachim, der alleine wohnt, vollkommen gesund wirkt und doch in einer Grauzone lebt: zwischen relativer Selbstständigkeit und Bevormundung, insbesondere durch seine Schwester, die seine Verliebtheit in eine Prostituierte als Anomalie abtut. Die subjektive Kamera zwingt uns in Joachims Perspektive, in die unbequeme Perspektive eines Stalkers. Sven dagegen, Protagonist des zweiten Kapitels, ist körperlich deformiert und sitzt im Rollstuhl, hat dafür aber ein außergewöhnlich stark ausgeprägtes Bewusstsein für seine Bedürfnisse, die er offen formuliert und durch männliche und weibliche Prostituierte abdeckt. Die Sehnsucht nach Liebe erfüllt sich für ihn aber nicht. Was müsste dafür geschehen? Permanent wirft der Film Fragen auf, die nur der Zuschauer selbst beantworten kann.

Lars Meyer



Lobende Erwähnung im Wettbewerb für junges Kino 2014

From My Syrian Room

Dokumentarfilm
Frankreich,
Deutschland,
Libanon,
Syrien
2014
70 Minuten
Untertitel: 
englische

Credits DOK Leipzig Logo

Produktion
Nathalie Combe, Heino Deckert, Georges Schoucair, Myriam Sassine, Hazem Alhamwi
Regie
Hazem Alhamwi
Musik
Sivan
Kamera
Hazem Alhamwi, Ghassan Katlabi
Schnitt
Florence Jacquet
Buch
Hazem Alhamwi
Ton
Nuzha Al Nazer, Frédéric Maury
Beklemmung überfällt einen. Die Feder von Hazem Alhamwi kratzt über eine Schwarz-Weiß-Skizze, die eines Hieronymus Bosch würdig wäre. Apokalyptische Motive und zugespitzte Satire sind seine Spezialität und waren die Rettung. In einem Land wie Syrien, wo alles, selbst das Atmen – wie einer bitter kommentiert – kontrolliert wurde, brauchte es Fluchträume. Kunst, die auf Öffentlichkeit verzichtet, kann einer sein. Der Film entstand, als die Proteste im Windschatten des Arabischen Frühlings hoffen ließen, dass sich etwas ändern könnte: endlich aussprechen, was jahrzehntelang unterdrückt war und zu hohen Gefängnisstrafen geführt hätte. In Gesprächen mit Freunden und Verwandten betreibt der Regisseur Ursachenforschung, beginnend mit Kindheitserfahrungen von Propaganda und Personenkult, Anpassung und Angst. Heute, da sich die Ereignisse überschlagen, ist die hohe Zeit der schnellen Medien. Alhamwis differenzierte Töne, assoziative Motive und Ausflüge in die Bilderwelt der Kindheit haben es schwer mitzuhalten in einer Gegenwart, in der Syrien zwischen religiösen und ethnischen Interessen sowie denen des Auslands zerrieben wird. Die Stimmen aus Alhamwis Zimmer hallen nach aus einer Zeit, als Demokratisierung und Freiheit gefordert wurden. Diesen kurzen Moment, als die Opposition sich zu formieren und zu formulieren suchte, hält der Film fest. Die Zeit der Idealisten war kurz bemessen.
Cornelia Klauß
Wettbewerb für junges Kino 2012
Mother's Day Bin Chuen Choi

Die Suche nach der Mutter, die den Filmemacher früh verließ, gerät zur Reflexion über Elternliebe und das Füllen von Leerstellen. Berührende Reise in das Reich des Kindes in uns.

Mother's Day

Dokumentarfilm
Deutschland
2012
80 Minuten
Untertitel: 
englische

Credits DOK Leipzig Logo

Produktion
Gunter Hanfgarn, Hanfgarn & Ufer Filmproduktion
Regie
Bin Chuen Choi
Kamera
Bin Chuen Choi, Thomas Ladenburger
Schnitt
Bin Chuen Choi, Thomas Ladenburger
Animation
Paul Leyton
Buch
Bin Chuen Choi
Ton
Bin Chuen Choi, Thomas Ladenburger
Kunst erwächst oft aus dem ganz Einfachen. Wie aus Bin Chuen Chois Anfangssatz: „Eine Mutter hat doch jeder.“ Denn was impliziert das – außer einem rein biologischen Fakt? Was bedeutet es zum Beispiel, wenn man, wie der in Deutschland lebende Chinese, als kleines Kind von der Mutter verlassen wurde? Wenn da statt Liebe und Geborgenheit nur eine Leerstelle klafft? Um diese zu füllen, begibt er sich auf die Suche nach ihr. Bei der Verwandtschaft in Hongkong trifft er zwar auf Hilfsbereitschaft, aber auch auf Unverständnis: Wozu nach jemandem suchen, den man doch genau so gut für tot erklären könnte? Über Freundinnen der Familie, Kolleginnen der Mutter, einer bekannten Autorin und Zufallsbekanntschaften nähert er sich dem Ziel und wird zugleich mit verschiedenen Konzepten von Elternschaft und –liebe bzw. Familie konfrontiert, die er auch immer am eigenen Vater-Sein zu messen hat. Ist die Liebe zu einem Kind ein universeller Wert, unabhängig von Kultur, Gesellschaft und Biografien? Als es schließlich zur entscheidenden Begegnung kommt, stellt sich heraus, dass jene Leerstelle nicht so einfach zu füllen ist und dass eigentlich erst hier die wirklichen Fragen ansetzen.
Wie erzählt man etwas, das nicht sichtbar ist? Bin Chuen Choi arbeitet mit Animationen, die nie als Surrogat für nicht-vorhandenes dokumentarisches Material funktionieren, sondern mittels surrealer, vieldeutiger Bilder tief in die Welt der Fantasie, ja des Unterbewussten führen – dort, wo das Kind in uns nach der Mutter sucht.
– Grit Lemke

The Land Beneath the Fog

Dokumentarfilm
Deutschland,
Indonesien
2011
105 Minuten
Untertitel: 
englische

Credits DOK Leipzig Logo

Produktion
Shalahuddin Siregar, STUDIOKECIL
Regie
Shalahuddin Siregar
Kamera
Shalahuddin Siregar
Schnitt
Shalahuddin Siregar, Fajar Kurniawan
Ton
Tommy Fahrizal
Land hinter dem Nebel. Welch verwunschener Titel. Aber Vorsicht. Tatsächlich hat uns der Regisseur da eine hübsche Falle gestellt. Denn das Leben der Bauern von Genikan, einem abgelegenen Dorf irgendwo in den Bergen von Zentral-Java in Indonesien hat wenig Märchenhaftes. Auch wenn hier eigentlich alles wächst und es den Menschen gut gehen könnte. Aber die Regenzeit dauert immer länger. Die Trockenzeit wiederum kam viel zu früh dieses Jahr und mit zu viel Hitze. Irgendetwas geschieht mit den Jahreszeiten, das die Bauern nicht verstehen können. Über einen Zeitraum von zwei Jahren hat der indonesische Regisseur Shalahuddin Siregar das Leben mehrerer Familien in Genikan begleitet und ist dabei auf die Folgen des Klimawandels gestoßen. Unspektakulär, beobachtend und mit viel Gespür für den Rhythmus seiner Erzählung, der dem alten Zeitgefühl dieses Ortes entspringt, zeichnet Shalahuddin Siregar das Bild eines Gemeinwesens, das an den unerklärlichen Wetterphänomenen zu zerbrechen droht. Ganze Ernten gehen dahin. Zwar ist die Bereitschaft, sich gegenseitig unter die Arme zu greifen, traditionell groß, aber wenn immer mehr immer weniger verdienen? Die Kinder bekommen die Folgen als erste zu spüren: weil kein Geld mehr für das Schulgeld da ist, werden sie auf die Islam-Schulen geschickt. Die sind zwar schlechter als die staatlichen Schulen, dafür aber billiger. Um dort was zu lernen? Oder vielleicht lieber doch gleich in den Minen arbeiten? Das Land hinter den Nebeln jedenfalls entschleiert sich unter dem Blick dieses jungen Regisseurs und wir entdecken einen Ort der globalen Krise. Wir wissen zwar um diesen Ort, belassen ihn aber lieber wo er schon immer war - hinter einer fetten Nebelwand von medialer Beruhigung, Mülltrennung und Biodiesel. Wenn wir nur den Mut hätten, genauer hinzusehen.
– Matthias Heeder