Die Pioniereisenbahn, bei der Kinder Lokführer oder Schaffner sind, Fahrkarten verkaufen oder Züge abfertigen, war einst der Traum jedes Jungen (und vieler Mädchen) zwischen Leipzig und Wladiwostok. Auch die Budapester Zwillinge Viktor und Karmen sowie Gergő bedienen altmodische Schalter, Hebel und Telefone, treten zum Fahnenappell an und singen am Lagerfeuer die alte Hymne: „Das Land der Pioniere ist voll glücklicher Töne …“. Doch was leicht zur klebrig-verlogenen Nostalgie geraten könnte, entfaltet sich als sensibles Coming-of-Age-Drama voller Zwischentöne – und nicht der glücklichen. Denn an der Schwelle zum Erwachsensein haben die drei nicht nur bei der Bahn Verantwortung zu tragen: Früh sind sie mit der harten Realität des Kapitalismus konfrontiert. Die alleinerziehende Mutter der Zwillinge verdient trotz stetiger Schufterei kaum genug, um Essen zu kaufen, und die Familie verliert das Dach über dem Kopf. Gergő hingegen lebt bei den Großeltern, weil die Eltern gezwungen sind, im Ausland zu arbeiten, und muss sich entscheiden, ob dies auch seine Zukunft ist.
Klára Trencsényi zeigt eine Welt, in der ein Relikt aus der Vergangenheit den einzigen Halt gibt auf dem Weg in die Zukunft, während alle dafür vorgesehenen Institutionen abwesend sind. Das Bild vom fahrenden Zug als Sehnsuchtsraum bekommt eine andere Bedeutung. Eine bittere Eisenbahnromantik.
Grit Lemke
Ausgezeichnet mit der Goldenen Taube im Next Masters Wettbewerb 2015