Árneshreppur heißt die isländische Landgemeinde, an die die Filmemacherin Yrsa Roca Fannberg ganz offensichtlich ihr Herz verlor. Vielleicht, weil sich hier, am nordwestlichen Rand des Inselstaates, einfach alles verliert: die Unterscheidbarkeit von Himmel, Wasser und Erde, der Blick, der Mensch sowieso. Anfang 2019 zählte Árneshreppur vierzig Einwohner. Als 2016 die Dreharbeiten begannen, waren es noch ein paar mehr, etwa der Landwirt Úlfar und seine Frau Oddný. Doch die Eheleute hatten längst beschlossen, der geliebten, aber spröden Landschaft wie all die anderen den Rücken zu kehren.
Dieser Film kommt für einen Umstimmungsversuch notorisch zu spät. Aber als poetische Bestandsaufnahme einer verschwindenden Lebenswirklichkeit, in der sich jede Plansequenz, jedes Schwarz-Weiß-Still als letztmögliches Bilddokument versteht, richtet er sich eigentlich an die Nachgeborenen, die Schafe nur mehr aus der Kühltheke im Supermarkt kennen werden. Mit Úlfar und Oddný durchleben wir einen arbeitsreichen Herbst. Er fährt Traktor, birgt Treibholzstämme und bestreitet mit den wenigen verbliebenen Helfern den Schafabtrieb. Sie bereitet die Mahlzeiten zu. Alle Handgriffe sitzen – und sind doch schon Gesten des Aufräumens, fast als wollten sie den zunehmend menschen- und schafleeren Landschaftsraum ordnungsgemäß übergeben. Aber an wen?
Sylvia Görke