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Internationales Programm 2019
In Touch Paweł Ziemilski

Ein Drittel der Bewohner eines polnischen Dorfes ist nach Island ausgewandert. Kontakt halten sie über Skype. Projektionen eines vermeintlich besseren auf ein vermeintlich schlechteres Leben.

In Touch

Dokumentarfilm
Island,
Polen
2018
61 Minuten
Untertitel: 
englische

Credits DOK Leipzig Logo

Produktion
Łukasz Długołęcki, Haukur M. Hrafnsson
Regie
Paweł Ziemilski
Musik
Arni Valur Kristinsson, Martina Bertoni
Kamera
Filip Drożdż
Schnitt
Dorota Wardęszkiewicz
Buch
Paweł Ziemilski, Łukasz Długołęcki, Haukur M. Hrafnsson
Ton
Piotr Kubiak, Paweł Szygendowski
Auf dem Weg in ein besseres Leben muss man zwangsläufig vieles hinter sich lassen. Das polnische Dorf Stare Juchy ist so ein zurückgelassener Ort. Seit den 1980er Jahren ist ein Drittel der Bevölkerung nach Island ausgewandert und niemand von ihnen ist bisher zurückgekehrt. Die Verwandten, die in Polen geblieben sind – meist Eltern und Großeltern der Emigranten –, nehmen über Skype und Facebook am Alltag der Weggegangenen teil. Selten klappt es, dass sie einander besuchen. Im sich immer weiter leerenden Dorf steht die Zeit still und die Bewohner werden zu Beobachtern eines Geschehens fernab ihrer Umgebung. Ihre Kinder machen Karriere als Polizistinnen oder Bauleiter, ihre Enkel singen isländische Popsongs, und ihnen selbst bleibt nichts anderes übrig, als vom Wetter und der Pilzernte zu berichten. Hier und da mischt sich ein zaghaftes Vermissen, auch ein drohendes Sehnen in die Gespräche. Die Hoffnung auf ein Wiedersehen stirbt zuletzt.

Paweł Ziemilski benutzt Filmaufnahmen aus Island, die er im polnischen Dorf auf jede erdenkliche Fläche projiziert. So tauchen in einem Wohnzimmer Polarlichter auf, ein Großvater spielt mit dem Abbild seines Enkels Fußball und eine Turnhalle wird zur eisigen Küste. Dieser ästhetische Kniff betont die Melancholie und Absurdität der Situation, in welcher das vermeintlich bessere und das vermeintlich schlechtere Leben eng miteinander verknüpft sind.

Kim Busch
Internationales Programm 2016
Keep Frozen Hulda Rós Guðnadóttir

An den Docks von Reykjavík entladen Arbeiter tiefgefrorenen Fisch: tonnenschwere Fracht im Akkord. Melancholische Bilder und Gabelstaplerballett über einen harten und gefährlichen Job.

Keep Frozen

Dokumentarfilm
Island
2016
67 Minuten
Untertitel: 
englische

Credits DOK Leipzig Logo

Produktion
Helga Rakel Rafnsdóttir
Regie
Hulda Rós Guðnadóttir
Musik
Joseph Marzolla, Prins Póló
Kamera
Dennis Helm
Schnitt
Kristján Lodmfjörd
Buch
Hulda Rós Guðnadóttir, Helga Rakel Rafnsdóttir, Hinrik Þór Svavarsson
Ton
Huldar Freyr Arnarson
„Keep Frozen“ steht auf den Kisten, die die Hafenarbeiter an den Docks von Reykjavík aus den riesigen Trawlern hieven, auf Paletten verladen und zum Weitertransport verpacken. Und es beschreibt die Problematik: Sie müssen schnell sein, superschnell, denn tiefgefroren soll die Fracht bleiben, damit wir sie für möglichst wenig Geld aus unseren Supermarkt-Gefriertruhen angeln können. Dies ist auch der Grund dafür, dass die Arbeitsbedingungen der Männer immer aberwitziger werden: immer kürzer die Zeiten, die für ein Schiff zur Verfügung stehen, immer schwerer (und meist jenseits der zulässigen 25 Kilo) die Kisten, die sie, oft in Doppelschichten, bei 35 Grad minus bewegen. Hart ist dieser Job, monoton und sehr gefährlich. Immer wieder kracht die Ladung aus den Seilen, verlieren Arbeiter dabei Gliedmaßen oder ihr Leben. Doch die Männer verstehen sich mit viel Selbstironie als „echte Kerle“ und agieren mit Akkuratesse in einer genau eingeübten Choreografie.

Hulda Rós Guðnadóttir, die als Kind selbst an den Docks gearbeitet hat, greift diese auf und erweitert die klassische Erzählung von der Schönheit und Härte der Arbeit um das inszenatorische Element des Gabelstaplerballetts. Der Film ist Teil eines mehrjährigen, groß angelegten Kunstprojekts, das unter Einbeziehung der Arbeiter entstand (und diese auch nach Leipzig führte). Beim nächsten Griff in die Kühltruhe wird man an sie denken müssen.

Grit Lemke


Nominiert für Healthy Workplaces Film Award
Internationales Programm 2019
The Last Autumn Yrsa Roca Fannberg

Von Úlfars Farm aus, am Rande Islands, wird man immer die See und noch viele Herbste sehen, aber nie wieder einen Schafabtrieb. Ein Heimatfilm vom Ende einer Welt – wehmütig und bildtrotzig.

The Last Autumn

Dokumentarfilm
Island
2019
78 Minuten
Untertitel: 
englische

Credits DOK Leipzig Logo

Produktion
Hanna Björk Valsdóttir, Yrsa Roca Fannberg
Regie
Yrsa Roca Fannberg
Musik
Gyða Valtýsdóttir
Kamera
Carlos Vásquez Méndez
Schnitt
Federico Delpero Bejar
Buch
Yrsa Roca Fannberg, Elín Agla
Ton
Björn Viktorsson
Árneshreppur heißt die isländische Landgemeinde, an die die Filmemacherin Yrsa Roca Fannberg ganz offensichtlich ihr Herz verlor. Vielleicht, weil sich hier, am nordwestlichen Rand des Inselstaates, einfach alles verliert: die Unterscheidbarkeit von Himmel, Wasser und Erde, der Blick, der Mensch sowieso. Anfang 2019 zählte Árneshreppur vierzig Einwohner. Als 2016 die Dreharbeiten begannen, waren es noch ein paar mehr, etwa der Landwirt Úlfar und seine Frau Oddný. Doch die Eheleute hatten längst beschlossen, der geliebten, aber spröden Landschaft wie all die anderen den Rücken zu kehren.

Dieser Film kommt für einen Umstimmungsversuch notorisch zu spät. Aber als poetische Bestandsaufnahme einer verschwindenden Lebenswirklichkeit, in der sich jede Plansequenz, jedes Schwarz-Weiß-Still als letztmögliches Bilddokument versteht, richtet er sich eigentlich an die Nachgeborenen, die Schafe nur mehr aus der Kühltheke im Supermarkt kennen werden. Mit Úlfar und Oddný durchleben wir einen arbeitsreichen Herbst. Er fährt Traktor, birgt Treibholzstämme und bestreitet mit den wenigen verbliebenen Helfern den Schafabtrieb. Sie bereitet die Mahlzeiten zu. Alle Handgriffe sitzen – und sind doch schon Gesten des Aufräumens, fast als wollten sie den zunehmend menschen- und schafleeren Landschaftsraum ordnungsgemäß übergeben. Aber an wen?

Sylvia Görke