Auch im indischen Küstenort Mirya, etwa 300 Kilometer südlich von Mumbai, ist die Fischerei ein sterbender Beruf. Die jüngeren Fischer haben einen Schulabschluss, finden aber keine Arbeit – Premierminister Modi sei schuld. Der Kauf eines Bootes wird erwogen, obwohl die Meerestiere immer rarer werden. Der große Markt ist weit entfernt und der Verkauf vor Ort lohnt kaum, weil die Preise zu hoch sind. Eine junge Frau folgt einem Mann, der sich trotz allem dem Fang von Krebsen verschrieben hat, in den düsteren und sumpfigen Mangrovenwald.
„The Ebb Tide“ ist eine Heimaterkundung, unternommen von der jungen Regisseurin Renu Savant, die nach Studien am Film and Television Institute of India in Pune bereits den zweiten Film über ihr Dorf dreht. Savant inszeniert die Bewohner am Wasser der Bucht. Sie abstrahiert das Dokumentarische, lässt Texte lesen und Leute Rollen spielen, die nah an ihrem eigenen Leben sind. Mit diesem hybriden Ansatz reflektiert sie auch ihre Position als Regisseurin: Kurz- und Weitsichten auf eine vertraute Gegend, die sich so in offener Weise und in all ihren Aspekten einfangen lässt. Die geheimnisvolle Bildwelt des Films, aufgenommen in der Monsunzeit des Jahres 2018, eröffnet dem Zuschauer den Blick in ein unbekanntes Leben und füttert ihn auf der intellektuellen Ebene mit Wissen um das vielschichtige Heute.
Saskia Walker