Eine dieser Geschichten, die unglaublich zu nennen nur wie fahrlässiges Understatement erscheinen kann: Während einer am 2. Oktober 1968 in Mexiko City stattfindenden Protestversammlung kommt es zu fast 300 Toten, als Präsident Gustavo Díaz Ordaz Militär und Spezialeinheiten der Präsidentengarde einsetzt, um wieder Ruhe im Land herzustellen. Nur am Rande wird Carlos Castañeda de la Fuente Zeuge des Geschehens. Aber dieser Tag soll sein gesamtes weiteres Leben bestimmen: In einem hilflosen Akt der Empörung unternimmt der bekennende Christ eineinhalb Jahre später einen Attentatsversuch auf Ordaz, wird jedoch zuvor mit einer Waffe festgenommen und soll von der Geheimpolizei als fanatischer Drahtzieher eines Staatsstreichs aufgebaut werden. Als dies vor allem wegen der Naivität des Beschuldigten misslingt, wird er für geisteskrank erklärt und weggesperrt. Er gilt als verschwunden. Über Jahre wird er körperlich und psychisch massiv misshandelt, später vergisst man ihn mehr oder weniger. Erst 1993, nach 23 Jahren Psychiatrie, wird er, quasi aus Ratlosigkeit, in die „Freiheit“ abgeschoben und vegetiert seitdem als verwirrter Obdachloser in Mexico City vor sich hin. Über lange Zeit rekonstruierte Regisseur Alejandro Solar Luna die Abgründe dieses Falles: die über vier Jahrzehnte sich hinziehende Auslöschung eines Menschen.
Ralph Eue