Auf den ersten Blick erinnert Josué an einen in die Jahre gekommenen Schwergewichtsboxer, der nach einem Knockout zurück ins Leben gefunden hat. Und zu seiner Bestimmung. Wir befinden uns im „Visión en Acción“, einem Heim für psychisch Kranke am Rande von Juárez, Mexiko. Eine gewalttätige Stadt, in der Josué sein Leben als Heroinjunkie verschwendete. Vor sechs Jahren hatten sie ihn hier halbtot abgeladen. Im „Visión en Acción“ gibt es keine Ärzte oder Pfleger, dazu ist es zu arm, sondern nur eine Art Selbstverwaltung der Geschädigten. Die haben Josué in ihre Arme genommen und geheilt. Seitdem lebt er hier und managt das Heim mit der Hingabe eines Mannes, der eine Grenze überschritten hatte und zurückgeholt wurde, um seinen Mitmenschen in Liebe zu dienen. Ein erstaunlicher Ort ist dieses „Visión en Acción“, dessen Alltag uns Mark Aitken in sehr sachlichen Bildern näherbringt. Die Situationen bedürfen auch keiner spektakulären Aufmerksamkeit, sondern sprechen für sich: für die mentale Andersartigkeit, den Verlust, die Fürsorge und die Gewalt der Stadt. Gleichzeitig zwingt uns diese Haltung der Kamera immer wieder dazu, unsere eigene Grenze gegenüber der Auffälligkeit zu benennen. Denn auch das lehrt uns Josué, der in anderen Einstellungen gar nicht mehr an einen Boxer erinnert, sondern an einen in sich zusammengesunkenen, nachdenklichen Buddha.
---Matthias Heeder