„Nationalitäten waren uns egal“, sagt eine ältere Dame. Sie zeigt ihrer Freundin und dem Kamerateam das Haus, in dem sie als junge Frau mit ihren Kindern wohnte. Die Schule war nur um die Ecke. Alle lebten sie hier harmonisch Tür an Tür: Armenier, Georgier, Abchasier, Mingrelier. Bis der Krieg kam. Jeder, der es sich leisten konnte, flüchtete. Nach Russland, in die Türkei, nach Georgien. Abchasien, das sich selbst als Staat betrachtet, liegt im Süden des Kaukasus und grenzt ans Schwarze Meer. Völkerrechtlich gehört das Land zu Georgien, hat jedoch den Status einer autonomen Region.
Der abchasische Künstler Sipa Labakhua ist nach vielen Jahren in seine Heimat zurückkehrt und zieht nun mit seiner autobiografischen Marionettenshow durchs Land. Er erzählt von seinen eigenen Erfahrungen, seiner Flucht, den Träumen seines Vaters – und sammelt auf seinen Reisen weitere Geschichten: von georgischen Bauern, orthodoxen Priestern, abchasischen Nationalisten, syrischen Flüchtlingen und russischen Hippies. Daraus entsteht das poetische Bild einer Gesellschaft, die diverser kaum sein könnte und sich eine essenzielle Frage stellt, die uns alle beschäftigt: Wie definiert sich die nationale oder kulturelle Identität eines Landes? Sipa Labakhua hat darauf eine ganz eigenwillige Antwort: Er sieht sich als Troubadour, die Kunst als sein Heimatland und sein Talent als Zuhause.
Julia Weigl