Filmarchiv

Jahr

Die Trasse

Dokumentarfilm
Tschechische Republik,
Deutschland,
Russland
2013
121 Minuten
Untertitel: 
englische

Credits DOK Leipzig Logo

Produktion
Natalia Manskaya, Filip Remunda, Vít Klusák, Simone Baumann
Regie
Vitaly Mansky
Kamera
Alexandra Ivanova
Schnitt
Pavel Mendel-Ponamarev
Buch
Vitaly Mansky
Ton
Dmitry Nazarov
Es war – so die „IG Erdgastrasse“ auf ihrer noch im deutsch-sowjetischen Freundschaftsstil gehaltenen Website – ein „Bauwerk des Jahrhunderts“, das mit dem Spatenstich am 6. Juni 1966 im fast-arktischen Westsibirien begonnen wurde, in den Vorperestroika-Jahren (zum Schrecken Reagans) reale transkontinentale Form annahm und heute beispielsweise den Rohstoffbedarf eines der wichtigsten rituellen Ereignisse Westeuropas deckt: den Rheingas-betriebenen Rosenmontagszug in Köln. Die „Urengoy–Pomary–Uzhgorod-Trasse“ erstreckt sich vom autonomen Kreis der Jamal-Nenzen bis zum Golf von Biskaya, so unbemerkt wie alles, was mit unserer Energieversorgung zu tun hat. Doch geopolitisch-ökologisch-ökonomisch ist die Pipeline eine riesige Goldader – mit klaren Konsequenzen (Abhängigkeiten, Technikgläubigkeit, Umweltschäden).
Entlang der unterirdischen Fährte erkundet Vitaly Mansky, den es zuletzt mit „Motherland or Death“ nach Kuba zog, diesmal unsere eigene fremde Heimat. Den politisch widerspenstigen Dok-Maître interessiert der Alltag jener, die neben und über der Trasse leben, nicht notwendigerweise jedoch von ihr (wo kein Geld, da kein Gas): indigene Eisfischer, orthodoxe Kirchenprozessionen, Putin-wählende Tuba-Bläser, Gorbatschow-kritische Veteranen, aufgebrachte Roma, fluchende Polen und marienverehrende Polinnen. Er kokettiert mit dem Klischee, weicht ihm aber geschickt aus. Big-Screen-Cinema, bildgewaltig und mit tollem Sounddesign.

Barbara Wurm



Ausgezeichnet mit dem MDR-Filmpreis 2013

Internationaler Wettbewerb Dokfilm 2013
Optical Axis Marina Razbezhkina

Obdachlose, Stripperinnen, Arbeiter, Handwerker, Ärzte, Altgläubige und „Businessmen“: Russland heute, vor dem Hintergrund 100 Jahre alter Fotos. Raffinierte Konstruktion mit geschärfter Linse.

Optical Axis

Dokumentarfilm
Russland
2013
90 Minuten
Untertitel: 
englische

Credits DOK Leipzig Logo

Produktion
Marina Razbezhkina
Regie
Marina Razbezhkina
Kamera
Denis Klebleev, Irina Uralskaya
Schnitt
Yury Geddert
Buch
Marina Razbezhkina
Ton
Yury Geddert
Um genauer zu erkennen, wie die postsowjetische Gesellschaft funktioniert, stellt man sie üblicherweise der sowjetischen gegenüber – oder zumindest jener Vorstellung, die in unseren Köpfen von ihr geblieben ist. Marina Razbezhkina, unumstrittene Altmeisterin im Fach Dokumentarfilm, geht einen anderen Weg. Sie überspringt die mystifizierte Zonenzeit und setzt unterschiedlichen sozialen Gruppen aus der Gegenwart („Klassen“ sagte man einst dazu) ihr historisches Ebenbild in Form lebensgroßer Fotografien vor – die Berufs- respektive Einkommensskala von unten nach oben, von Obdachlosen über Stripperinnen, Fabrikarbeiter, Handwerker, Ärzte, Altgläubige bis hin zu denjenigen, die eine Staatsbank aufsuchen, nämlich Juwelierinnen und Bauunternehmerinnen, Investoren und Münzsammler. Die Drehorte von heute und die Locations von damals, vor ziemlich genau 100 Jahren, sind dieselben: Nischni Nowgorod und Umgebung. Der Fotojournalist Maxim Dmitriev – das russische Pendant zu August Sander – „war verliebt in die Realität“, heißt es im Abspann anerkennend. Razbezhkina ist es auch. Welch Glück für ein Land, das ansonsten seine geschärften Linsen weitgehend eingebüßt und die optischen Achsen verstellt hat. Ein Modellfilm zudem: für alle, die immer schon wissen wollten, wie man das Soziale im Querschnitt präzise vermisst, ohne Rückgriff auf holprige Konzeptbrücken, dafür mit Hirn, Herz und Händchen.

Barbara Wurm