Die kolumbianischen Brüder Pablo und Fernando sind um die 20 und könnten unterschiedlicher nicht sein. Pablo lebt in Kolumbien, verfolgt klare Ziele und setzt sie entschlossen durch. Fernando, nur wenige Jahre jünger, hängt in Stockholm ab. Drogenabhängig, orientierungslos und kurz vor dem Absturz. Da soll eine Therapie unter Pablos Aufsicht in Kolumbien helfen. Über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren folgt Tora Mårtens Film den ungleichen Brüdern und Olga, ihrer Mutter, deren Rolle in Fernandos Unglück, je länger es andauert, zutage tritt. Ähnliches gilt für Pablo. Ferdi nennt er den Jüngeren, und behandelt ihn auch so: er plant die Therapie, er fordert, er organisiert. In aller Liebe, beide, und da liegt Fernandos Problem. Wie sich der Fürsorglichkeit entziehen, die wie ein Senkblei auf ihm lastet? Mit viel Gespür für Situationen, für die leisen Zwischentöne und stillen Beobachtungen erzählt „Colombianos“ die Geschichte einer Familie, deren Beziehungsgewebe neu ausbalanciert wird. In Verkehrung seines Status als Benjamin bildet Fernando hierbei das Gravitationszentrum, um das herum sich die alten familiären Bande auflösen, um auf einer neuen, geläuterten Ebene wieder zusammenzufinden. Olga sucht eine Selbsthilfegruppe auf, um ihr Verhalten zu ergründen. Pablo erhöht den Druck und befreit sich von der Verantwortung für den Bruder. Der schließlich setzt sich durch und kehrt allein nach Schweden zurück.
Schnitt. Ein Jahr später. Das Leben bietet manchmal auch ein Happy End. Wie im Kino.
Matthias Heeder
Ausgezeichnet mit der Goldenen Taube im Internationalen Wettbewerb Dokumentarfilm 2012