Filmarchiv

Int. Wettbewerb Kurze Dokfilme 2014
Metaphor or Sadness Inside Out Catarina Vasconcelos

Leerstellen in einer Familie und einem Land, die Spuren einer Mutter und der portugiesischen Nelkenrevolution, in körnigen Bildern und Erinnerungen. Ein lyrisches Suchbild.

Metaphor or Sadness Inside Out

Dokumentarfilm
Portugal,
UK
2013
32 Minuten
Untertitel: 
englische

Credits DOK Leipzig Logo

Produktion
Catarina Vasconcelos
Regie
Catarina Vasconcelos
Musik
Lucie Troger
Kamera
Catarina Vasconcelos
Schnitt
Catarina Vasconcelos
Buch
Catarina Vasconcelos
Ton
Mike Wyeld
Ein junger Mann schreibt seiner Schwester, der Filmemacherin, aus Lissabon nach London. Er gesteht ihr, dass er, neun Jahre nach dem Tod der Mutter, eine Leere in seinem Leben fühlt. Sie antwortet ihm mit einem Film, um jene Leerstelle zu füllen. Der Bruder beschreibt seine Sehnsucht nach einer Zeit, in der er noch gar nicht lebte, eine Vergangenheit, die verloren scheint. Es ist die Zeit der Mutter, die Zeit der Revolution in Portugal, die ein innerlich gebrochenes Land wieder mit sich vereinte. Das Gefühl der Freiheit ist heute für die Nachrevolutionsgeneration, mitten in der Eurokrise, schwer greifbar. Kann man sich in der Zeit rückwärts filmen?
Das körnige Super-8-Material schlägt eine Brücke ins Gestern. Die Kamera sucht Orte von drei Familiengenerationen auf, die sich nur noch halb anfühlen. Auch das Meer gehört dazu, von dem der Großvater einst sagte, es sei eine Metapher für die Welt. Immer wieder kommt der lyrische Wortwechsel zwischen Bruder und Schwester auf das Gefühl der Halbheit zurück. Auf der Bildebene wird nach der anderen Hälfte gesucht, durchaus mit einer feinen Ironie, die den melancholischen Grundton aufhebt. Eine Metapher bleibt schließlich eine Metapher. So entsteht ein selbstreflexives, poetisches Suchbild, in dem das Persönliche stets über sich hinausweist.
Lars Meyer

Notes on Blindness: Rainfall

Dokumentarfilm
Australien,
UK
2013
4 Minuten
Untertitel: 
keine

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Produktion
Peter Middleton
Regie
Peter Middleton, James Spinney
Musik
James Ewers, Michael Murray
Kamera
Gerry Floyd
Ton
Justine Angus
Regen verändert die Wahrnehmung des Raumes. Er gibt uns ein Koordinatensystem aus spezifischen Klängen, in dem wir uns selbst verorten und erfahren können. Der Regen half John Hull, als er sein Augenlicht verlor, sich die Welt mit anderen Sinnen neu zu erschließen. 1983 begann er, seine Selbstbeobachtungen auf Kassette aufzuzeichnen. Seine Originalaufnahmen stehen im Zentrum des Films, der dem Zuschauer zugleich einen neuen optischen Erfahrungsraum eröffnet. Präzise inszenierte Bilder verschieben die Wahrnehmungsgrenze von der Außen- in die Innenwelt, vom physikalischen Raum in den der Erinnerung und der Vorstellung – ein poetisches Experiment. „Rainfall“ ist der erste Teil einer Serie, basierend auf John Hulls akustischem Tagebuch.

Lars Meyer
Int. Wettbewerb Kurze Dokfilme 2014
T's World: The Over-identification of Terry Thompson Ramon Bloomberg

Der unerhörte Fall eines Amerikaners, der wilde Tiere züchtete und sich ihnen zum Fraß vorwarf, mit Anleihen an episches Theater, griechische Tragödie und Play-Station-Ästhetik.

T's World: The Over-identification of Terry Thompson

Animadok
Frankreich,
UK,
USA
2014
29 Minuten
Untertitel: 
keine

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Produktion
Ramon Bloomberg
Regie
Ramon Bloomberg
Kamera
Ramon Bloomberg
Schnitt
Stark Haze
Animation
József Szimon, Balázs Őrley
Am 18. Oktober 2011 erhält der Sheriff von Zanesville in Ohio einen aufgeregten Anruf: Die Tiere, die der Sonderling Terry Thompson völlig legal auf seiner Ranch hält, würden durch das County streifen. Alarm! Ein schwer bewaffneter Polizeitross tötet in jener Nacht über 56 Bären, Tiger, Wölfe, Leoparden und Löwen. Thompson hatte die Käfige geöffnet, sich erschossen und den Tieren seinen Körper als Nahrung angeboten. So weit, so gut, so amerikanisch.
Das bizarre Geschehen verwandelt der britische Medienkünstler Ramon Bloomberg in eine Erzählung Brecht’scher Prägung. Dessen Lehrstück „Der Jasager“, das überlieferten Brauch und formalisiertes Gesetz thematisiert, verbindet Bloomberg mit der anarchistischen Freiheitslogik der amerikanischen Siedlermentalität, die jede Staatlichkeit als Einschränkung individueller Freiheitsrechte bekämpft: Ich bin der Herr über meine Tiere, mein Land, mein Haus, meine Familie. Basta!
Bloomberg übersetzt episches Theater in die Sprache des Films zu Zeiten der Play-Station-Spiele. Realaufnahmen wechseln mit Bildern der Videokamera aus Streifenwagen, Google-Earth-Data-Mining-Sequenzen und computeranimierten Reenactments. Dazu hören wir Protokolle und Aussagen der Beteiligten sowie einen Kommentar in Form des (antiken) Chors, der Stimme des Gesetzes, des Nachbarn und des Tiers. Nur Terry Thompson hören wir nicht. So bleibt sein Motiv ein großes Geheimnis.

Matthias Heeder



Lobende Erwähnung im Internationalen Wettbewerb Animationsfilm 2014

The Wait

Dokumentarfilm
Finnland,
UK
2012
25 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Inka Achté
Regie
Inka Achté
Musik
Graham Hadfield
Kamera
Inka Achté
Schnitt
Rodrigo Saquel
Ton
Nina Rice
Sie verschwinden von einem Tagauf den anderen. Väter, Ehemänner, Söhne, sie verlassen die Wohnung auf dem Weg zu einer Verabredung und tauchen nicht wieder auf. Zurück bleiben die Familien, die unter Umständen nie erfahren, ob etwas passiert ist oder sie verlassen wurden. Schlaflos wälzen sie alle Indizien in ihrem Kopf wieder und wieder hin und her. Verzweifelt suchen sie wie in einem Puzzle nach Zeichen, die sie übersehen haben könnten und rekonstruieren jedes Detail der letzten Stunden. Sie warten über Jahre und haben gleichzeitig vor nichts mehr Angst, als vor einer Antwort. Für diese beinahe unerträgliche Stimmung der Ungewissheit hat die Regisseurin Inka Achté flirrende Bilder gefunden. Der Blick auf Bahnhöfe und Menschenmengen trägt die trügerische Hoffnung in sich, der Vermisste könnte plötzlich unter ihnen sein. Dazwischen erscheinen die Protagonisten wie Schattenrisse, die die Kamera der Dunkelheit entreißt. So verdeutlichen die oszillierenden Bilder die schicksalhafte Verkettung der An- und der Abwesenden, des Diesseits und des Jenseits. Nur der beleibte Junge, der seinem verschwundenen Vater so ähnlich sieht, hat etwas, woran er sich klammern kann. Ganz behutsam hält er sein Meerschweinchen im Arm.

– Cornelia Klauß
Int. Wettbewerb Kurze Dokfilme 2013
Vegas Lukasz Konopa

Die glitzernde Kapitale des amerikanischen Traums bleibt ferne Kulisse: Hier sprechen die Verlierer. Ruhige Erzählung vom Alltag an den Rändern einer abwesenden Stadt.

Vegas

Dokumentarfilm
UK
2013
24 Minuten
Untertitel: 
keine

Credits DOK Leipzig Logo

Produktion
Lukasz Konopa
Regie
Lukasz Konopa
Musik
Sarah Warne
Kamera
Paweł Chorzępa
Schnitt
Paulo Pandolpho
Buch
Lukasz Konopa
Ton
Nikola Medic
Hartnäckig verteidigt Las Vegas seinen Mythos als Hauptstadt des Entertainments und der Superlative. Wo, wenn nicht hier, kann man das schnelle Geld oder eine steile Karriere ins Firmament des Showgeschäfts machen? Jährlich strömen Millionen Glückssucher hierher. Die einen starren auf die Bewegungen ihrer Jetons, andere hoffen auf ein Engagement in einem der Vergnügungstempel oder wenigstens irgendeinen Job. Dennoch wird niemanden die Nachricht überraschen, dass es in dieser Stadt des schönen Scheins auch eine ganze Menge Verlierer gibt. Und erst recht, seitdem in diese Oase mitten in der Nevada-Wüste die Rezession Einzug hält. Der aus Polen stammende und in England lebende Regisseur Lukasz Konopa hat dafür bezeichnende Bilder, Protagonisten und Situationen gefunden, die über Las Vegas hinaus für den zerbrechenden amerikanischen Traum stehen. An die Stelle eines Auftritts im Caesars Palace tritt das Altenheim mit seinen schwerhörigen Insassen, welche die Gesangseinlage des Jungstars wenig würdigen. Häuser werden versiegelt, weil ihre Bewohner zahlungsunfähig sind. Kanalrohre bieten neue Behausungen. Im Gegensatz zu der lauten, glitzernden und fiebrigen Metropole, die nur wie eine ferne künstliche Kulisse wirkt, setzt Konopa die ruhige Erzählung des Alltags an den Rändern der Stadt. Den Verlierern gehört das Wort. Ihnen gibt er im Film den Platz, den sie in Las Vegas nicht gefunden haben, vielleicht auch nie hätten finden können. So entsteht das Porträt einer Stadt, die abwesend ist und sich im flackernden Neonlicht irgendwo am Horizont verliert.

Cornelia Klauß