Filmarchiv

Das Forum

Dokumentarfilm
Deutschland,
Schweiz
2019
116 Minuten
Untertitel: 
englische
deutsche

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Christian Beetz, Georg Tschurtschenthaler, Karin Koch, Marcus Vetter
Marcus Vetter
Marcel Vaid
Georg Zengerling
Marcus Vetter, Ana Fernandez Rocha, Michele Gentile
Christian Beetz
Melanie Westphal, Dieter Meyer, Marco Teufen, Jonathan Schorr, Marcus Vetter
Jährlich im Januar gibt das schweizerische Davos die Kulisse für das Weltwirtschaftsforum (WEF). Dieses Treffen ist ein Stelldichein der globalen Eliten aus Wirtschaft und Politik. Zwar werden seit einiger Zeit die öffentlichen Debatten und Pressekonferenzen auf der Website des WEF gestreamt – im Sinne eines transparenten, jedoch auch des Offiziösen verdächtigen audiovisuellen Protokolls –, doch noch nie in der 49-jährigen Geschichte des WEF gewährte man einem unabhängigen Filmemacher Einblicke in die Maschinerie des Ereignisses oder hinter die Fassaden der Institution.

Über einen Zeitraum von drei Jahren beobachtete Regisseur Marcus Vetter das Funktionieren dieser Maschinerie. Er warf dabei auch wenige, dafür hochkonzentrierte Blicke in die Geschichte des 1971 von Klaus Schwab gegründeten Forums und verknüpft nun, sehr souverän, individuelle Biografien, historische Momente, folgerichtig Zusammenhängendes und peripher Umherschwirrendes zum komplexen Bild eines weltumspannenden Gewebes. Klaus Schwab, inzwischen 79-jährig, kann der Gewebe-Metapher viel abgewinnen, äußerte er doch mehr als nur einmal, dass in „seinem“ WEF die Fäden der Welt zwar zusammenlaufen mögen, dass Sinn und Zweck dieser Verknotung aber erst entstünden, wenn die Fäden später wieder verantwortungsvoll verteilt würden. Um nicht weniger als diese Fäden, also den Sinn und Zweck des WEF, geht es in diesem Film.

Ralph Eue

Exemplary Behaviour

Dokumentarfilm
Bulgarien,
Italien,
Litauen,
Slowenien
2019
85 Minuten
Untertitel: 
englische

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Rasa Miškinytė, Martichka Bozhilova, Igor Pediček, Edoardo Fracchia
Audrius Mickevičius, Nerijus Milerius
Marjan Šijanec
Audrius Kemezys, Valdas Jarutis, Julius Žalnierukynas, Audrius Mickevičius
Ema Konstantinova, Armas Rudaitis
Rimas Sakalauskas
Audrius Mickevičius, Georgi Tenev
Saulius Urbanavičius

Das grässlich entstellte Gesicht seines ermordeten Bruders stellt Audrius Mickevičius an den Beginn seines Films. Er interessiert sich dafür, wie jemand für eine solche Tat büßt. Im Hinblick auf dieses konkrete Verbrechen könnte man meinen: viel zu kurz, denn der Täter kommt schon nach fünf Jahren wieder frei, weil er sich im Gefängnis als mustergültiger Häftling gezeigt hat. Mickevičius bleibt allerdings nicht bei dem individuellen Fall, sondern hebt seinen Film auf eine allgemeinere Ebene: „Exemplary Behaviour“ ist beinahe so etwas wie eine Meditation über die Frage, ob sich in einer zeitlichen Ordnung eine endgültige Tat wie ein Mord sühnen lässt – und ob die verstreichende Zeit es den Hinterbliebenen des Opfers erlaubt zu verzeihen. Am Beispiel zweier Lebenslänglicher (der eine heiratet und wünscht sich Kinder, der andere legt seine ganze Leidenschaft in eine Idee von Kunsthandwerk) und eines Philosophen mit Hafterfahrung (Bernard Stiegler) macht Mickevičius den eigentümlichen Zustand eines suspendierten Lebens nachvollziehbar. Die elegische Grundstimmung wird schließlich noch verstärkt durch die Information, dass Audrius Mickevičius während der Produktion von „Exemplary Behaviour“ erkrankte und starb. Nerijus Milerius besorgte die Fertigstellung. Bert Rebhandl





Ausgezeichnet mit einer Goldenen Taube im Internationalen Wettbewerb Langfilm, mit dem Preis der Interreligiösen Jury und mit dem FIPRESCI Preis.


Internationaler Wettbewerb 2019
Family Relations Nasser Zamiri

In der iranischen Großfamilie sind alle gegen den Vater und der Regisseur versucht, im Dschungel der verschiedenen Aussagen den Durchblick zu behalten. Eine tragikomische Familiensaga.

Family Relations

Dokumentarfilm
Iran
2019
77 Minuten
Untertitel: 
englische

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Nasser Zamiri
Nasser Zamiri
Nasser Zamiri
Nasser Zamiri, Neda Asadi
Über fünfzig Verwandte versammeln sich auf einer engen Terrasse zum Familienfoto. Gleich am Anfang bittet der Regisseur diejenigen wieder zu gehen, die nicht am Film teilnehmen wollen. Die Hälfte verlässt das Bild. Die Bleibenden geben somit ihr Einverständnis. Was folgt, ist die tragikomische Nacherzählung einer iranischen Familiensaga, bei der sich alles um das Oberhaupt dreht: um „Haji Baba“, den Vater. Boshaft sei er und mische sich überall ein. Seine Kinder und seine Frau, die ihn verlassen hat, erheben schwere Vorwürfe, reichen eine Beschwerde gegen ihn ein. Wie so oft geht es ums Erbe. Haji Baba widerspricht allem. Doch wer hat Recht?

In seiner filmischen Familienaufstellung versucht der Filmemacher, im Dschungel der verschiedenen Aussagen den Durchblick zu behalten. Eine direkte Konfrontation zwischen den Parteien stellt er nicht her, vielmehr gibt er allen Familienmitgliedern eine Bühne, mit überraschenden Mitteln und viel Humor. Liebevoll zeigt er den Verstoßenen, der in jeder Situation ein Gedicht vorzutragen oder ein romantisches Lied vorzusingen weiß. Insgeheim träumt Haji Baba von Berühmtheit, die ihm dieser Film hoffentlich einbringen möge.

Annina Wettstein
Internationaler Wettbewerb 2019
In Bed with a Writer Manfred Vainokivi

Peeter Sauter, Enfant terrible der estnischen Literaturszene und Bukowski-Verehrer, bekämpft seine melancholische Schreibkrise mit absurden Selbstexperimenten. Nackt geht er aufs Leben zu.

In Bed with a Writer

Dokumentarfilm
Estland
2019
63 Minuten
Untertitel: 
englische

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Marju Lepp
Manfred Vainokivi
Manfred Vainokivi
Kersti Miilen
Manfred Vainokivi, Peeter Sauter
Horret Kuus
Hinter einem großen Schaufenster im belebten Zentrum von Tallinns Altstadt lümmelt bierbauchig in Boxershorts und mit Brille ein freundlicher Herr auf einem Sofa. Er grüßt die verwunderten, kichernden Passanten. Mit ihm grüßt ein schlichtes Pappschild in der Fensterecke, das sagt: „Begging for Love“. Der nette Mann von nebenan ist der estnische Schriftsteller Peeter Sauter. Und wenn er schreibt, ist er nicht nett, sondern provoziert mit grober Sprache. Er fühlt sich Charles Bukowski nahe, aber ist als estnischer Autor Außenseiter genug.

Sensibel, ehrlich und mit feinsinnigen Inszenierungen begegnet Manfred Vainokivi in seinem Film dem Endfünfziger in dessen Schreib- und Lebenskrise. Sauter sieht sich selbst immer noch als kleinen Jungen. Allerdings macht ihm nach seiner Scheidung nun zu schaffen, welche Frau an einem alten, fetten Mann interessiert sein sollte. Er philosophiert nackt und mit Bierflasche vor der Waschmaschine sitzend. Der künstlerische Provokateur offenbart eine tiefliegende romantische Sehnsucht. Für neue Erfahrungshorizonte setzt er sich komischen wie auch irritierenden Rollenspielen aus. Er schläft auf dem Grab seiner Eltern, lernt Striptease und steht für einen rassistischen Fotografen und seine schrecklichen Motive Modell. In all seiner Melancholie geht Peeter Sauter auf das Leben zu: „Gibt es irgendwen, den allein das Denken irgendwohin gebracht hat?“

André Eckardt
Internationaler Wettbewerb 2019
It Takes a Family Susanne Kovács

Eine mutige filmische Untersuchung der eigenen Familiengeschichte, in die sich das Grauen des Holocaust über Generationen eingeschrieben hat. Kein Film über Schuld, sondern über Vergebung.

It Takes a Family

Dokumentarfilm
Dänemark
2019
59 Minuten
Untertitel: 
englische
deutsche

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Ulrik Gutkin (Copenhagen Film Company Short & Doc.)
Susanne Kovács
Povl Kristian
Casper Høyberg, Susanne Kovács
Marion Tuor
Susanne Kovács
Claus Lynge
Susanne Kovács weiß, dass ihre Großeltern väterlicherseits den Holocaust überlebten und nach Dänemark flüchteten, um ein neues Leben zu beginnen. Mehr weiß sie nicht. Das aus Ungarn stammende Paar hielt die eigene Geschichte zeitlebens unter Verschluss und konzentrierte sich darauf, so schnell wie möglich in die dänische Alltäglichkeit einzutauchen. Von außen betrachtet ein Bilderbuchleben. Um der Erinnerung an den Tod zu entkommen, lächelten und schwiegen sie. Wenn niemand die Dunkelheit sieht, so ihre Hoffnung, wird Normalität möglich. Doch statt zu vergehen, wuchs das Ungesagte und begann schließlich, auch die Gegenwart zu verdunkeln.

Schon als Kind spürte Susanne das undefinierbare Gemisch aus Angst, Schmerz und Wut, das unter der Oberfläche brodelte. Lange bevor sie diese Gefühle in Worte fassen konnte, standen sie im Raum. Als sie sich als junge Frau entschließt, Fragen zu stellen, stößt sie auf Ablehnung. Darf sie gegen den Willen ihrer Großmutter in Zeiten graben, durch die so viele Geister spuken? Ist es nach so langer Zeit nicht besser zu schweigen? Wer darf sprechen und mit wem? Welche Version der Wahrheit ist die richtige? Eine mutige Investigation der eigenen Familiengeschichte, in der deutlich wird, dass es irgendwann nicht mehr um Schuld geht, sondern um Vergebung.

Luc-Carolin Ziemann
Internationaler Wettbewerb 2019
My English Cousin Karim Sayad

Voller Hoffnungen kam Fahed 2001 aus Algerien in England an. Doch die Wohlstandsträume verflüchtigten sich. Nun steckt er in einer Midlifekrise und weiß nicht mehr, wo seine Heimat ist.

My English Cousin

Dokumentarfilm
Qatar,
Schweiz
2019
82 Minuten
Untertitel: 
englische
deutsche

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Joëlle Bertossa, Flavia Zanon
Karim Sayad
Patrick Tresch
Naïma Bachiri
Miguel Antunes Dias
Fahed möchte sein Leben verändern. Fast zwanzig Jahre ist es her, seit er Algerien verließ. Damals kam er voller Hoffnungen in Grimsby an, einer britischen Hafenstadt, die ihre florierenden Zeiten längst hinter sich hatte. Sein Traum von Wohlstand verflüchtigte sich. Um finanziell zu überleben, geht er heute in einer 50-Stunden-Woche zwei Jobs nach. Zwar besitzt er inzwischen eine Aufenthaltsgenehmigung und lebt gut integriert in einer Arbeiter-WG, doch nun, in der Mitte seines Lebens, zieht es ihn zurück in die algerische Heimat. Um näher bei seiner Mutter zu sein. Und er hat Heiratspläne! Doch wird es Fahed gelingen, sich nach so langer Abwesenheit wieder in Algerien einzuleben und seine Rolle zu finden? Seine Familie glaubt ihm die Rückkehrabsichten nicht so recht und neckt ihn, weil die Verlobung ein Mysterium bleibt. Wahrscheinlich habe er sich bereits zu sehr an die britische Mentalität gewöhnt, vermutet seine Tante.

Wo ist nun Faheds Heimat? Unvoreingenommen und mit humorvollem Blick für Details begleitet Karim Sayad seinen wortkargen Cousin bei dessen unentschlossenem Hin und Her. Ein Film über persönliche und nicht zuletzt auch gesellschaftliche Wendepunkte, denn im Hintergrund bewegen sich die beiden Länder England und Algerien auf politische Umwälzungen zu.

Annina Wettstein
Internationaler Wettbewerb 2019
Noodle Kid Huo Ning

Um die Schulden seines Vaters zu tilgen, verlässt der vierzehnjährige Ma Xiang seine Heimat und schuftet in einer fremden Großstadt als Nudelzieher. Harte Arbeit, hartes Erwachsenwerden.

Noodle Kid

Dokumentarfilm
China
2019
107 Minuten
Untertitel: 
englische

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Han Lei
Huo Ning
Huo Ning, Zhang Jiahao
Huo Ning, Han Lei, Shih Gary
Shen Hancun
Ma Xiang ist vierzehn Jahre alt und lebt mit seiner Familie in Hualong in der chinesischen Provinz Quinghai. Sie zählen zu den sogenannten Hui-Chinesen, die sich, im Gegensatz zur Han-chinesischen Majorität des Landes, dem muslimischen Glauben zugehörig fühlen. Ma Xiang rezitiert in der Schule den Koran und besucht die Moschee. Doch um die Schulden seines Vaters abzuarbeiten, schickt man ihn in eine entfernte, ihm unbekannte Großstadt, in welcher sein Onkel Ma Yusuf mehrere Nudelrestaurants betreibt. Er soll die Fertigkeit des Nudelziehens erlernen. Leben und Arbeit in der Fremde sind hart, Ma Xiang schlecht bezahlt und der Islam verpönt. Er muss nicht nur seine Takke, die traditionelle Kopfbedeckung, abnehmen, sondern auch seine Brille, weil Ma Yusuf findet, dass sich das Tragen einer Brille und die Herstellung von Nudeln nicht vertragen.

Huo Ning begleitet Ma Xiangs Reise, die auch eine ins Erwachsenwerden ist. Auf ihr gilt es, sowohl seinen Platz innerhalb eines extrem patriarchalen Systems zu verorten als auch Eigenständigkeit zu bewahren. Denn Ma Xiang, den man bereits zu Beginn von „Noodle Kid“ als empfindsames Kind kennenlernen konnte, lässt sich nicht so einfach dominieren. Zu ungebrochen das eigene Gewahrsein, das auch den Wunsch zur Kontaktaufnahme mit der Mutter beinhaltet, die Ma Xiangs Familie vor vielen Jahren verlassen hat.

Carolin Weidner
Internationaler Wettbewerb 2019
Robolove Maria Arlamovsky

Maria Arlamovsky zeigt uns eindringlich, dass die Welt der sogenannten sozialen Roboter nicht nur technisch höchst entwickelt ist, sondern auch grundlegend patriarchal strukturiert.

Robolove

Dokumentarfilm
Österreich
2019
76 Minuten
Untertitel: 
englische

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Michael Kitzberger, Wolfgang Widerhofer, Markus Glaser, Nikolaus Geyrhalter
Maria Arlamovsky
Andreas Hamza, Boris Hauf
Sebastian Arlamovsky
Emily Artmann, Maria Arlamovsky, Alexander Gugitscher, Sebastian Arlamovsky
Maria Arlamovsky
Andreas Hamza

Vor Jahrzehnten sahen Roboter noch aus wie bewegliche Werkzeugkästen. Das hat sich radikal geändert. Die heutigen Humanoiden ähneln den Menschen nicht nur, sie können auch mit den Pupillen rollen und mit den Augen zwinkern. In diesem Film kommen sie hauptsächlich aus Japan, Korea und den USA. Ishiguro Hiroshi ist ein Pionier in der Konstruktion solcher Kunstmenschen. Sogar einen Zwilling hat er sich gebaut. Doch die meisten der Neu-Geschöpfe sind weiblich und entsprechend den Fantasien ihrer Schöpfer auch mit den in einer patriarchalen Gesellschaft erwünschten Attributen ausgestattet: „Es wird eine Frau werden, also ist das Lächeln wichtig“, weist einer der Entwickler seine Assistentin an. Fast alle der Androiden haben ein Püppchengesicht mit dümmlichem und unterwürfigem Ausdruck, Kulleraugen und leicht geöffnetem Mund. Nur bei der Firma Terasem in Vermont soll eine sprechende Frauenbüste reiferen Alters namens „BINA 48“ auch emotional an menschliches Verhalten andocken. Nicht überraschend sprechen die Entwickler ihren Geschöpfen allerlei weltverbessernde Eigenschaften zu und lassen mögliche Kritik schon im Vorfeld abperlen. Oder ist der Mensch sowieso auch nur eine Maschine, wie es Ishiguro behauptet? Der nah und genau beobachtende, kommentarlose Film von Maria Arlamovsky gibt uns tiefe Einblicke in diese Schöne Neue Welt, um uns selbst Urteile zu bilden. Silvia Hallensleben





Ausgezeichnet mit dem Gedanken-Aufschluss Preis.


Internationaler Wettbewerb 2019
Siddhartha Damiano Giacomelli, Lorenzo Raponi

Siddharta und Fabrizio, der eine neun, der andere 65 Jahre alt, sind Kern einer Gemeinschaft, die auf jeglichen zivilisatorischen Komfort verzichtet. Wir sind ihre Gäste – einen Sommer lang.

Siddhartha

Dokumentarfilm
Italien
2019
79 Minuten
Untertitel: 
englische

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Eleonora Savi, Damiano Giacomelli
Damiano Giacomelli, Lorenzo Raponi
Damiano Giacomelli, Lorenzo Raponi
Aline Hervé, Enrico Giovannone
Diego Schiavo
Eine Nuss allein macht kein Geräusch, wenn man sie in seiner Tasche trägt. Viele zusammen aber klappern. So nennt sich die kleine Gemeinschaft, in welcher der neunjährige Siddharta mit seinem 65-jährigen Vater Fabrizio lebt „Noci Sonanti“, die „Klingenden Nüsse“. Ohne Strom und sonstigen zivilisatorischen Komfort bewohnen beide ein Haus inmitten eines abgelegenen italienischen Landstrichs. Hin und wieder finden sich Menschen ein, die für eine Weile Teile des Stamms werden, bevor sie weiterziehen. Wie Erica, die man manchmal mit Fabrizio in Meditation versunken sieht. Doch völlig isoliert sind Siddharta und Fabrizio nicht. Monatlich findet ein Wechsel statt, wenn Siddharta zu seiner Mutter Sofia und deren neuer Familie zieht. Außerdem pflegt der Junge eine Freundschaft mit einem Mädchen aus dem Dorf, unweit des Hauses seines Vaters, durch das er in Kontakt mit Dingen kommt, gegen die sich Fabrizio schon vor langer Zeit ausgesprochen hat: stark gesüßten Eistee etwa. Oder Mittel gegen Läuse.

Damiano Giacomelli und Lorenzo Raponi beobachten das Leben der „Noci Sonanti“ einen von sonnendurchfluteten Tagen und neugeborenen Katzen geprägten Sommer lang. Einer demonstrativen Wertung entziehen sich die Regisseure dabei – und montieren doch behänd die verschiedenen Lebensmodelle, zwischen denen Siddharta wandelt und nicht selten auch vermittelt.

Carolin Weidner

The Royal Train

Dokumentarfilm
Österreich,
Rumänien
2019
92 Minuten
Untertitel: 
englische
deutsche

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Johannes Rosenberger, Constantin Wulff, Johannes Holzhausen (Navigator Film), Ada Solomon, Diana Păroiu (HiFilm)
Johannes Holzhausen
Joerg Burger
Dieter Pichler
Johannes Holzhausen, Constantin Wulff
Andreas Hamza, Vlad Voinescu
Eine untergegangene Monarchie wird von einer Prinzessin repräsentiert, deren unerschütterliche Mission es ist, dass ihrer Dynastie wieder eine echte Verantwortung für Politik und Wirtschaft in der rumänischen Gegenwart übertragen wird. Mit großer Energie, manchmal auch komischen Ausrutschern, überwiegend aber mit dem gebührenden royalistischen Ernst spielt Prinzessin Margareta von Rumänien ihre Rolle als Subjekt und Objekt der eigenen Kampagne. Aufgeführt wird das Stück vom neuen Wein in alten Schläuchen. Mit höfischer Entourage bereist Margareta „ihr“ Land im gleichen königlichen Zug, auf derselben königlichen Strecke, in dem auch schon ihr Vater König Michael I. den Kontakt zu seinen Untertanen suchte und pflegte. Dass der rote Teppich als offensichtlichstes Symbol von monarchischer Grandezza auch beim kleinsten Zwischenstopp einen makellosen Eindruck zu machen hat, versteht sich von selbst – lässt sich aber nicht immer hundertprozentig herstellen.

Den Betrieb, der sich um diese Reise ins Rückwärts entfaltet, beobachtet Regisseur Johannes Holzhausen mit distanziert-staunender Neugier, offenbart sich darin doch eine vielsagende (Un-)gleichzeitigkeit zwischen altwurzelndem K.-u.-k.-Zeremoniell und aktueller Marketing-Vision.

Ralph Eue

Village of Women

Dokumentarfilm
Armenien,
Frankreich
2019
92 Minuten
Untertitel: 
englische
deutsche

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Stéphane Jourdain (La Huit), Tsovinar Soghomonyan (Hayk Studio), Thierry Barbedette (TV 78)
Tamara Stepanyan
Nils Økland, Sigbjørn Apeland, Narine Harutyunyan, Grigor Narekatsi, Cynthia Zaven, Edouard Mirzoyan
Robin Fresson, Tamara Stepanyan
Olivier Ferrari, William Wojda
Harutyun Mangasaryan, Tamara Stepanyan, Jean-Marc Schick
Die Frauen geben den Ton an in diesem armenischen Dorf. Sie pflügen, bringen die Ernte ein, fahren die Traktoren. Sie kochen, sie essen zusammen, sie lachen und singen. Das Leben verläuft in einem geschmeidigen Rhythmus, obwohl ein wenig Melancholie über vielen Gesprächen zu liegen scheint. Die Abwesenheit der Männer wird im Dorf ertragen wie ein Naturphänomen. Die Frauen haben gelernt, sich zu arrangieren. Schwierigkeiten lösen sie gemeinsam. Bis auf einige Alte verbringen alle männlichen Dorfbewohner neun Monate des Jahres in Russland, um dort zu arbeiten. In Armenien fehlen die Jobs. Nur im Winter sind die Familien komplett. Schon wenn sich der Herbst verabschiedet, beginnt sich die Stimmung im Dorf zu verändern. Die Rückkehr der Männer bringt Aufregung und Freude, aber auch Unsicherheiten und Veränderungen mit sich. Nach den ausgelassenen Begrüßungsfeiern fängt ein neuer Alltag an, in dem Ehepaare plötzlich wieder beisammen sind, Kinder mit ihren Vätern spielen und die Frauen einen Teil ihrer Arbeitslast endlich wieder in anderen Händen wissen. Aber Jahr für Jahr müssen auch Verantwortlichkeiten neu aufgeteilt werden.

Regisseurin Tamara Stepanyan gelingt ein warmherziges, sehr stilsicheres Porträt einer weiblichen Schicksalsgemeinschaft, die ihre schwierigen Lebensumstände mit viel Humor, Herzenswärme und einer ordentlichen Portion gelebtem Feminismus trägt.

Luc-Carolin Ziemann