Filmarchiv

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Int. Wettbewerb Kurze Dokfilme 2012
24 Buckets, 7 Mice, 18 Years Iacob Marius

Ein Köhlerpaar in Transsilvanien ist die Attraktion für Touristen, die mal richtige Armut fotografieren wollen, während es selbst von der Karibik träumt … Bissige Satire.

24 Buckets, 7 Mice, 18 Years

Dokumentarfilm
Rumänien
2012
30 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Pintilie Adina, Manekino Film
Regie
Iacob Marius
Kamera
Marius Iacob
Schnitt
Marius Iacob, Vlad Voinescu
Buch
Marius Iacob
Ton
Vlad Voinescu
Zahlen spielen eine große Rolle im Leben der ungarisch-rumänischen Köhler Piroska und Imre – ebenso das Radio, die Karibik und ein florierender Elendstourismus. Den Zusammenhang dieser Ingredienzien stellen die jungen Regisseure Iacob Marius und Vlad Voinescu mit großer Leichtigkeit und sicherem dramaturgischen Gespür her.
Den Sommer verbringen Imre und Piroska damit, in einem Wald in Transsilvanien Holz zu einer Pyramide aufzutürmen. Als Grillkohle wird es nach ganz Europa gelangen. Da kommt es schon mal weiter als das Paar, das in einem heruntergekommenen Waggon ohne Strom haust und die Abende damit verbringt, Rundfunkreportagen aus fernen Ländern zu lauschen und über die perfekten Lottozahlen zu diskutieren. Regelmäßig kommt die Welt zu ihnen in Gestalt von – ganz urig! – auf dem Pferdewagen angekarrten Touristen, die gegen ein Entgelt echte osteuropäische Armut, gern auch selbst mit der Schaufel posierend, fotografieren. Piroska und Imre nehmen’s mit Humor und denken lieber darüber nach, wie man die Menge von 230 Kohlesäcken umwandelt in den Treffer, der einen an den Traumstrand bringen wird – eines Tages.
Eine kluge Reflexion über den vermeintlich dokumentarischen Blick. Denn der Wohlstandsbürger gruselt sich wohlig, füllt seine Speicherkarte mit Bildern und macht sich davon. Die im authentischen Dreck sitzen bleiben, müssen weiter auf ein Wunder hoffen – oder auf die richtige Zahl.

– Grit Lemke
Int. Wettbewerb Kurze Dokfilme 2012
A Story for the Modlins Sergio Oksman

Eine Kiste mit Dokumenten und Andenken aus der Mülltonne – Material für die Rekonstruktion des Lebens eines exzentrischen Künstlerpaars, zwischen Fiktion und Realität.

A Story for the Modlins

Dokumentarfilm
Spanien
2012
26 Minuten
Untertitel: 
keine

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Produktion
Sergio Oksman, Documenta Films
Regie
Sergio Oksman
Musik
Sergei Rachmaninov
Kamera
Migue Amoedo
Schnitt
Fernando Franco, Sergio Oksman
Buch
Carlos Muguiro, Emilio Tomé, Sergio Oksman
Ton
Carlos Bonmatí
Sitzen Sie im falschen Film? Wollten Sie nicht einen kurzen Dokumentarfilm sehen, der um die Erinnerungsstücke eines bereits verstorbenen, amerikanischen Ehepaars kreist? Warum läuft der Vorspann eines Hollywoodfilms: Mia Farrow in „Rosemary’s Baby“?
Fiktion und dokumentarische Realität stoßen bei diesem Dokumentarfilm immer wieder aufeinander. Nicht Mia Farrow ist die Hauptheldin unseres Films, sondern der Kleindarsteller Elmar Modlin und seine Frau Margaret, eine passionierte Malerin. Ausschließlich anhand von gefundenen Briefen, Fotos und anderen dokumentarischen Materialien rekonstruiert der Regisseur die Lebensgeschichte dieser beiden Menschen. Nach einer Statistenrolle in „Rosemarys Baby“ verließ Elmer mit Frau und Sohn die USA und zog nach Madrid. Dort lebten sie in einer kleinen Wohnung über 30 Jahre abgeschieden von der Außenwelt. Margret inszenierte sich als Künstlerin, Elmer arbeitete als TV-Darsteller. Was von ihnen blieb? Eine leere Wohnung und eine Mülltonne voller weggeworfener Andenken. Indizien ihres gelebten Lebens, durch Zufall entdeckt vom Filmemacher bei einem Spaziergang durch Madrid. Die spannendsten Geschichten liegen eben auf der Straße.

– Antje Stamer
Int. Wettbewerb Kurze Dokfilme 2013
Alppikatu 25 – Home to the Homeless Inka Achté, Marika Väisänen

Kahle Flure, schmale Zellen: ein Obdachlosenheim in Helsinki und seine Bewohner. Lebensspuren und Innenwelten in langen Kamerafahrten und subtilen Geräuschcollagen.

Alppikatu 25 – Home to the Homeless

Dokumentarfilm
Finnland
2012
27 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Cilla Werning, Liisa Juntunen
Regie
Inka Achté, Marika Väisänen
Musik
Graham Hadfield
Kamera
Sari Aaltonen, Daniel Lindholm, Tuomas Järvelä
Schnitt
Hannele Majaniemi
Alppikatu-Straße 25 lautet seit 1937 die Adresse eines Obdachlosenheimes in Helsinki. Ein Ort für Männer ohne eigenen Ort. Männer ohne Vergangenheit? „Create your own memories“, steht jedenfalls als Motto auf einem Zettel an der Wand. Und doch speichert das eintönige Gebäude, das mit seinen langen, kahlen Fluren und schmalen Zellen durchaus Assoziationen an ein Gefängnis wachruft, gewissermaßen die Erinnerungen und Lebensspuren vieler Menschen, die sich hier ein minimales Zuhause geschaffen haben, wenn auch nur vorübergehend. Fünf von ihnen kommen zu Wort. Jeweils für einen Moment taucht der Film in ihre innere Welt ein, nur durch ihre Stimme, ergänzt durch subtile Geräuschcollagen. Optisch bleiben die Männer Phantome. Manchmal sind sie gebannt in die Unschärfe des Raumes, manchmal erscheinen sie nahe am Stillstand. Nur der Zigarettenrauch scheint sich dann noch zu bewegen. Der Raum indessen lässt sich widerstandslos von der Kamera ergründen, so als gäbe er tatsächlich Auskunft über seine Bewohner. Das Abstrakte liegt nahe am Konkreten, die Zeit streift den Raum.

Lars Meyer

Anger

Dokumentarfilm
Spanien
2014
24 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Sergi Casamitjana
Regie
Mireia Fontanals
Musik
Jordi París
Kamera
Anna Serra
Schnitt
Eli Sort
Buch
Mireia Fontanals
Ton
Aleix Burgueño
Anita und Amadeu sind immer noch ein Paar, obwohl ihnen das Alter schon arg zusetzt. Den unterschiedlichen Gewohnheiten können sie nicht entfliehen. Alle Abläufe absolvieren sie unendlich langsam. Nur die Katzen und der Hund sind ihnen als Gefährten geblieben. Sie ist noch flott bei der Sache und hält den Laden am Laufen, während sich Amadeu duldsam und mühsam gerade noch so aufrechthält. So aufeinander angewiesen, wird der Ton schärfer.
In ein paar wenigen Szenen wird das ganze Drama des Altwerdens präzise skizziert. Über einen längeren Zeitraum kehrt die junge Filmemacherin Mireia Fontanals immer wieder zu den beiden zurück, um dieselben Vorgänge zu dokumentieren. Im Prinzip ganz einfach, denn es gibt ja nur noch wenige Schauplätze, die im Leben der Eheleute eine Rolle spielen: das Haus, die Krankenstation, das Pflegeheim. Und es sind nur noch wenige Fragen, die zu klären sind. Zum Beispiel die: Liebst du mich noch?
Cornelia Klauß
Int. Wettbewerb Kurze Dokfilme 2012
Bouchbennersch Otto Janina Jung

Otto, geboren 1907, war anders als die anderen Dorfbewohner. Puzzleartig ersteht das Porträt eines „bunten Hundes“ und „Dorftrottels“, der vielleicht ein Genie war. Moderner Heimatfilm.

Bouchbennersch Otto

Dokumentarfilm
Deutschland
2012
29 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Kunsthochschule für Medien Köln
Regie
Janina Jung
Kamera
Janina Jung
Schnitt
Quimu Casalprim i Suárez
Buch
Janina Jung
Ton
Janina Jung u.a.
Menschen in einem Dorf im Westerwald erinnern sich an einen der ihren, den Bouchbennersch Otto, der 1907 als Otto Müller geboren wurde, zwei Weltkriege erlebte, sich zum Buchbinder ausbilden ließ und später Gemeindediener oder „Ausscheller“ wurde. Otto war in seinem Dorf und den umliegenden Ortschaften bekannt wie ein bunter Hund. Und ein bunter Hund war er ja irgendwie auch: Anders als alle anderen, jemand der sich unterschied, abweichend dachte, fühlte und sprach, dazu ein Mensch von hoher emotionaler Intelligenz, ein begnadeter Wirtshaus-Entertainer und sicher auch ein Verzweifelter aus dem Geschlecht der Woyzecks und Kaspar Hausers. Während der Hitlerei wurde Otto zwangssterilisiert, Anfang der 1990er Jahre starb er als Alkoholkranker in einem Heim. Mit „Bouchbennersch Otto“ komponierte Janina Jung einen wunderbar modernen „Heimatfilm“, in dessen schönsten Momenten aufblitzt, wie sehr Erinnertes immer auch die Erinnernden sichtbar macht.

Ralph Eue



Ausgezeichnet mit der Goldenen Taube im Internationalen Wettbewerb für kurze Dokumentarfilme 2012

Distance

Dokumentarfilm
Indien
2013
38 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Ekta Mittal
Regie
Ekta Mittal, Yashaswini B. Raghunandan
Musik
Rahul Giri
Kamera
Paromita Dhar, Amith Surendran
Schnitt
Abhro Banerjee
Buch
Ekta Mittal, Yashaswini B. Raghunandan
Ton
Abhro Banerjee, Christopher Burchell
Bangalore City. Im Reich der Wanderarbeiter. Gleich hinter dem Bahnhof oder jenseits der Schienen, jedenfalls dort, wo die großen Gerüste stehen mit den dazwischen gekauerten Wellblechhütten, die man provisorisch nennen mag (und wohl auch muss), wo die Menschen sich notdürftig ein paar Quadratmeter hergerichtet haben, liegt dieses Reich. Wenn das Leben selbst zur Baustelle geworden ist, fliehen die Träume weit weg. Liebe bleibt meist Erinnerung oder Sehnsucht, also Vergangenheit oder Zukunft. In der Gegenwart ist sie vor allem als Leerstelle erfahrbar. Umso wichtiger werden Geschichten von der Liebe. Direkt erzählt und gehört oder aus Richtung Bollywood über kleine Mobiltelefon-Bildschirme und -Lautsprecher eingesaugt, liefern diese Geschichten zugleich adaptierfähige Muster, in deren dramaturgische Verschlingungen sich die Jungs auf den Baustellen wunderbar als Mitspieler hineinfantasieren können.
Mit schlafwandlerischer Sicherheit und virtuosem kinematografischem Gespür gehen Yashaswini Raghunandan und Ekta Mittal auch in ihrem zweiten Film der flüchtigen Aura von Menschen und Schauplätzen nach – ihr Film „Presence“ lief im vergangenen Jahr ebenfalls im Leipziger Wettbewerb. Und erneut ent-falten sie (im wahrsten Sinn des Wortes) Wirklichkeiten, die uns ansonsten verschlossen blieben.

Ralph Eue



Ausgezeichnet mit der Goldenen Taube im Internationalen Wettbewerb für kurze Dokumentarfilme 2013

Earth

Dokumentarfilm
Belarus
2012
30 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Jaroslav Kamienski, Belsat TV
Regie
Victor Asliuk
Kamera
Ivan Hancharuk
Schnitt
Victor Asliuk
Buch
Victor Asliuk
Dass der Zweite Weltkrieg – auch: Großer Vaterländischer Krieg – noch lange nicht vorbei ist, schon gar nicht in den Nachfolgestaaten des Sowjetreichs, zeigt die große Vorliebe für pompöse Feierlichkeiten rund den „Tag des Sieges“. Ein ganzes Album an mythologischen Bildern wird hier meist abgerufen, wobei das „Heldenmut“-Pathos so dominant ist, dass für tatsächliche Erinnerung, Anteilnahme und Aufarbeitung wenig Raum bleibt. „Zjamlja“ geht den gegenteiligen Weg. Mit jener Ausdauer und visuellen Intensität, die Viktor Asliuk auch bisher als herausragenden Dokumentaristen des Post-Sowjetischen auszeichneten, widmet sich der Weißrusse hier den langwierigen Suchaktionen nach verschütteten Soldatenleichen – konkreten Relikten auf den ehemaligen Schlachtfeldern. Es sind Freiwillige aus allen Winkeln Russlands, oft ganze Familien, die die Wälder nach Knochenresten durchforsten. Sie graben sie (die Unbeerdigten) aus, um sie erneut einzugraben. Ein scheinbar absurder, geisterhafter Zirkel, beobachtet mit stoischer Ruhe. Diese stellt sich auch ein, wenn Asliuk wie beiläufig einzigartiges Archivmaterial vom winterlichen Krieg dazwischen schneidet. Gespenstisch real werden die namenlosen Toten – junge Männer von einst, durch die Erde mit ihren Nachfahren verbunden, die so jung sind wie sie es damals waren und die erstmals mit dem Tod konfrontiert werden. Auch wenn zwischendurch Krieg gespielt wird, überwiegt die Andacht. Ein Film, der die Vergangenheit der verlorenen Zukunft mit der Gegenwart kurzschließt.

– Barbara Wurm
Int. Wettbewerb Kurze Dokfilme 2013
Emergency Calls Hannes Vartiainen, Pekka Veikkolainen

Notrufe: eine Geburt, ein Unfall, der letzte Funkspruch der „Estonia“. Und Bilder aus dem All. Experimentelle Betrachtung des Worst Case und sphärisches Menetekel.

Emergency Calls

Dokumentarfilm
Finnland
2013
15 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Hannes Vartiainen, Pekka Veikkolainen
Regie
Hannes Vartiainen, Pekka Veikkolainen
Musik
Joonatan Portaankorva
Kamera
Hannes Vartiainen, Pekka Veikkolainen
Schnitt
Hannes Vartiainen, Pekka Veikkolainen
Animation
Hannes Vartiainen, Pekka Veikkolainen
Buch
Hannes Vartiainen, Pekka Veikkolainen
Ton
Joonatan Portaankorva
What is your emergency? Mit der Frage, die stets am Anfang des Telefonats mit einer Notfallzentrale steht, beginnt auch dieser Film. Auf der Tonspur aufgeregte, manchmal verzweifelte Menschen. Notfälle: eine Sturzgeburt, eine Massenkarambolage. Aber auch ein Amoklauf und der letzte Funkspruch der„Estonia“. Der Anruf markiert die Grenze zwischen Leben und Tod, die – vielleicht – überschritten wird. Das hängt auch von denen ab, die ihn entgegennehmen: hier verkörpert von weißen Gestalten, bar jeglicher Status generierender Symbole wie Kleidung oder sogar Haare. Reduziert auf den nackten, puren Menschen, auf den es ankommt. Oder sind es die Erinnyen, die unser Schicksal in den Händen halten?
Es gibt kein Blut, keine Katastrophenbilder. Stattdessen NASA-Aufnahmen der Erde aus dem All, Wolken, Lichtspiele, Radaranzeigen, pointiert verfremdet. Was ist die Not eines Menschen angesichts der Unendlichkeit des Universums? – Alles, sagt dieser Film, der sich wie alle Werke des Regieduos Vartiainen/Veikkolainen jeder Kategorisierung entzieht. Er erinnert an den Konjunktiv, der unser gesichertes Leben als Möglichkeit des Worst Case durchzieht. Ein Menetekel, das leise über uns schwebt. Hätte. Könnte. What is your emergency?

Grit Lemke

Escort

Dokumentarfilm
Niederlande
2013
19 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Zinzy Nimako, Jonne Roos
Regie
Guido Hendrikx
Musik
Lucas Malec
Kamera
Emo Weemhoff
Schnitt
Lot Rossmark
Buch
Guido Hendrikx
Ton
Tijn Hazen, Taco Drijfhout
Wie hebt man jemanden an, der gefesselt am Boden liegt? Wie trage ich ihn, wenn er sich wehrt? Wie fixiert man einen Körper? Wie bugsiert man ihn eine Gangway hoch? Was macht man, wenn er schreit? Und wie kriegt man es fertig, einen verzweifelten Menschen, der vielleicht eine Familie zurücklässt, abzuschieben in ein Land, wo ihn nichts als Unsicherheit, Armut oder Verfolgung erwartet? Mit diesen Fragen sehen sich junge Rekrutinnen und Rekruten der niederländischen Bundespolizei konfrontiert. Sie absolvieren eine Spezialausbildung darin, abgewiesene Asylbewerber auf ihren Abschiebeflügen zu begleiten.
Dicht und im Stil des Direct Cinema erzählt, gibt Guido Hendrikx komprimiert in wenigen Szenen Einblick in eine gängige, allerdings für die Öffentlichkeit meist unsichtbare Praxis. Ohne dezidiert zu emotionalisieren, gelingt es ihm dennoch, Erschütterung auszulösen. Denn auch wir können uns der Frage nicht entziehen: Was ist human? (Und uns bange weiterfragen, was wir tun würden, wenn im Flugzeug hinter uns ein „Escort“ mit seinem Passagier säße.)

Grit Lemke



Ausgezeichnet mit der Goldenen Taube im Internationalen Wettbewerb für kurze Dokumentarfilme 2014

Int. Wettbewerb Kurze Dokfilme 2013
Everyday Everyday Reem Karssli

Videotagebuch einer jungen Frau aus Syrien. Vor dem Krieg geflüchtet, ist sie mit ihrer Familie gefangen in einer Wohnung. Sensible Bestandsaufnahme und seltenes Dokument.

Everyday Everyday

Dokumentarfilm
Syrien
2013
26 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Maia Malas, Madalina Rosca
Regie
Reem Karssli
Kamera
Reem Karssli
Schnitt
Reem Karssli
Ton
Reem Karssli
Impressionen einer Wohnung, nur wenige Dinge werden mitgenommen. Eine Fahrt auf dem Rücksitz eines Autos. Dass es ein Außen gibt, ist nur zu erahnen. Ein Schatten auf dem Teppich, der zu einer anderen Wohnung gehört. Dieser Ort sei sicherer. Es gibt einen Balkon, über dessen Brüstung man besser nicht blicken sollte. In der Spiegelung der Fensterscheibe zeigt sich die Frau hinter der Kamera. Immer wieder sind Schüsse zu hören. Es heißt, ein Kiosk sei bombardiert worden. Nein, zwei. Es heißt, die Freie Syrische Armee baue eine Barriere vor dem Haus, das man mit der Vergangenheit, den Träumen und der Hoffnung zurücklassen musste. Mit „jedem Tag“ wachse die Angst. Jeder wisse, dass Syrien frei sei, frei bleibe und keine Diktatur akzeptieren werde, tönt es aus dem Fernseher.
Reem Karssli gelingt mit ihrem Videotagebuch das sensible Porträt einer Familie, deren Mitglieder „jeden Tag“ auf ihre ganz individuelle Art und Weise mit der Realität umgehen müssen, die „noch harscher, noch hässlicher“ sei als das, was eine Kamera einfangen könne. Ein seltenes Dokument, das durch seine extreme Unmittelbarkeit besticht und wohl nur durch ein Wunder diese Wohnung verlassen konnte.

Claudia Lehmann

Hotel 22

Dokumentarfilm
USA
2014
8 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Elizabeth Lo
Regie
Elizabeth Lo
Musik
Jonathan Zalben
Kamera
Elizabeth Lo
Schnitt
Elizabeth Lo
Buch
Elizabeth Lo
Ton
Christopher Giamo
Endstation Palo Alto, Kalifornien. Der Bus Nummer 22 fährt ununterbrochen Passagiere durch das wohlhabende Silicon Valley. Tagsüber ein normaler Linienbus, führt er nachts ein glanzloses Doppelleben. Nach Einbruch der Dunkelheit versammeln sich an der Bushaltestelle die Armen, die Obdachlosen, Gestalten im Schatten des Reichtums. Schweigend und schwerfällig erklimmen sie den Bus, der sich in einen fahrenden Schlafplatz verwandelt. Eine Nacht lang werden sie durchgerüttelt, Streitigkeiten und Rassismen ausgesetzt und mit Ordnungsanweisungen beschallt, die suggerieren, dass hier alles noch im grünen Bereich und unter Kontrolle ist: „If you're tired, put your head up against the window.“ In knapp acht Minuten fängt der Film die Stimmungsschwankungen einer Fahrt durch die Nacht ein, die für Viele schon zum Alltag geworden ist, und liefert damit zugleich die Skizze für ein großes Gesellschaftsporträt.
Lars Meyer
Int. Wettbewerb Kurze Dokfilme 2012
Kiran Bettina Timm, Alexander Riedel

Ein französischer Junge wächst in einer Jurte im Wald auf, eins mit der Natur und ohne Strom, möchte aber in eine „richtige“ Schule … Moderner Tom Sawyer in magischen Bildern.

Kiran

Dokumentarfilm
Deutschland
2012
30 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Bettina Timm, Alexander Riedel, Pelle Film
Regie
Bettina Timm, Alexander Riedel
Musik
Antun Opic
Kamera
Philip Vogt
Schnitt
Frank Müller
Buch
Bettina Timm, Alexander Riedel
Ton
Hannes Ullmann
Eltern sind die Bestimmer, klar. Wann es ins Bett geht und ob’s vorher noch Süßes gibt, aber eben auch, welche Religion und die Art der Schule legen sie einfach mal fest – wo kämen wir sonst auch hin?
Kiran jedenfalls hätte zumindest bei der Schulwahl gern ein Wörtchen mitzureden. Der 8-jährige Franzose lebt mit seiner Mutter in einer Jurte mitten im Wald. Er weiß, welche Pflanzen man essen und wo man am besten über die Strohballen toben kann. Ein Leben in Geborgenheit, im Eins-Sein mit der Natur, voller Liebe und Freiraum. Keine bösen Worte, kein Junkfood. Aber auch keine Waschmaschine, kein elektrisches Licht, kein Computer. In der freien Schule beten die Kinder die Elemente an und spielen Flöte.
Kiran aber sehnt sich nach Dissonanz statt Gleichklang, nach ein bisschen Zoff statt immerwährender Harmonie. Er will Wurst mit Ketchup und eine Schule, in der Pokémon-Karten erlaubt sind und man lesen lernt – auch wenn seine Mutter das für überbewertet hält. Kiran aber weiß sich zu helfen …
Bettina Timm und Alexander Riedel erzählen voll sanftem Humor Loriotscher Prägung, der nie diskreditiert. Sie erschaffen magische Momente, in denen der Junge eins zu sein scheint mit seiner Umwelt. Sie finden aber auch Bilder dafür, wie er sich aus dieser Welt löst und seinen eigenen Weg zu gehen beginnt – auf den Spuren von Max und Moritz oder von Tom Sawyer.

– Grit Lemke

Lisa, Go Home!

Dokumentarfilm
Estland,
Litauen
2012
27 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Uljana Kim, Studio Uljana Kim
Regie
Oksana Buraja
Kamera
Kristina Sereikaite
Schnitt
Oksana Buraja
Buch
Oksana Buraja
Ton
Giedrius Aleknavicius
Lisa hat ein Geheimnis. Es wird ihn geben, diesen Ort irgendwo hoch oben, an dem keiner keinem weh tut, an dem es schön ist: „Dort werden wir leben, meine Familie und ich.“ – Lisa wispert vor sich hin, wenn es um ihre Gefühlswelt geht, und um die geht es in diesem ganz schön provokativen Film von Oksana Buraja. Die Mutter „zählt bis drei“, dann müssen die Tränen weggewischt sein und „Kommando lustig“ wird ausgegeben. „Ecke stehen“ gehört ebenfalls zum Alltag. Das Mädchen läuft regelmäßig von zu Hause weg aus dieser Welt der Subalternen, die so augenscheinlich defizitär, ekelhaft und schrecklich gezeichnet ist, dass die Grenzen des Voyeurismus durchaus als angekratzt gelten müssen. Der Fokus bleibt jedoch immer auf Lisa. Ihre Perspektive ist es, durch die wir ihrer Mutter und deren Freundin bei ihren beschwipst-verrauchten Tanzabenden zusehen (mit Typen, die grade mal zum Partymachen gut sind). Ihre kindlichen Augen sind es auch, die idyllische Gegenwelten kreieren – von der Jungfrau Maria bis zum Plätschern eines Bachs. Lisa trippelt barfuß. Lisa singt. Lisa wispert. Unschuld pur. Ein Kind. Es grenzt an ein Wunder (und dann auch wieder nicht), dass sie ihre Familie „dort, hoch oben“, wo es so schön ist, dabei haben will.
– Barbara Wurm

Little Afghanistan

Dokumentarfilm
Afghanistan
2011
28 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Stéphane Jourdain, La Huit Production
Regie
Basir Seerat
Kamera
Basir Seerat
Schnitt
Laurence Attali
Ton
Nasim Karawan, Reza Sahel, Mirwais Wahja, Zahra Sadat, Taj Mohammad Bakhtari
Afghanistan und kein Ende? Müde von den 'embedded reports' über die Härten des Auslandseinsatzes alliierter Berufssoldaten im tückischen Feindesland? Dann werfen Sie einen Blick in die Qala-e Wahid Straße in Kabul - ein Mikrokosmos, in dem sich die ganze Misere dieses geschundenen Landes spiegelt. Unterstützt von der französischen Filmschule Atelier Varant, die jungen FilmemacherInnen die Produktionsmittel zur Verfügung stellt, tief in das soziale Leben ihres Landes einzutauchen, folgt der afghanischen Regisseur Basir Seerat den Alltagshärten gewöhnlicher Menschen. In diesem Fall den Lenkern der letzten Pferdekutschen Kabuls. Sie kämpfen an vielen Fronten: gegen die wachsende Flut der Autos; gegen Ladenbesitzer, die ihre Nase voll haben von dem Gestank der Pferdepisse; gegen Fußgänger, streunende Hunde, untätige Lokalpolitiker, gerne auch gegeneinander und alle gegen die Schlaglöcher, die sich überall auftun. Denn die Qala-e Wahid ist nur ihrem Verlauf zwischen den Häusern nach, eine Straße zu nennen. In Wahrheit ist sie eine üble unbefestigte Staubpiste im Sommer und ein matschiger Schlammpfad im Winter. Basir Seerats Blick auf dieses wuselige Little Afghanistan, dem die verordnete Modernität des Westens so gar nicht passt, ist zwiespältig: einerseits ist da eine große Sympathie für die Menschen, ihre Sorgen und ihre mitunter zotigen Späße und derben Umgangsformen. Gleichzeitig spüren wir die tiefe Melancholie über die Verrohung des Landes, dessen sozialen Bezüge sich in dem Chaos aufgelöst haben, das der Krieg verursacht hat. Afghanistan, so hören wir, steht mit heruntergelassener Hose da, und der Nachbar ist ein Dieb. Seine Menschen - 'embedded' in der permanenten Krise.

– Matthias Heeder
Int. Wettbewerb Kurze Dokfilme 2014
Metaphor or Sadness Inside Out Catarina Vasconcelos

Leerstellen in einer Familie und einem Land, die Spuren einer Mutter und der portugiesischen Nelkenrevolution, in körnigen Bildern und Erinnerungen. Ein lyrisches Suchbild.

Metaphor or Sadness Inside Out

Dokumentarfilm
Portugal,
UK
2013
32 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Catarina Vasconcelos
Regie
Catarina Vasconcelos
Musik
Lucie Troger
Kamera
Catarina Vasconcelos
Schnitt
Catarina Vasconcelos
Buch
Catarina Vasconcelos
Ton
Mike Wyeld
Ein junger Mann schreibt seiner Schwester, der Filmemacherin, aus Lissabon nach London. Er gesteht ihr, dass er, neun Jahre nach dem Tod der Mutter, eine Leere in seinem Leben fühlt. Sie antwortet ihm mit einem Film, um jene Leerstelle zu füllen. Der Bruder beschreibt seine Sehnsucht nach einer Zeit, in der er noch gar nicht lebte, eine Vergangenheit, die verloren scheint. Es ist die Zeit der Mutter, die Zeit der Revolution in Portugal, die ein innerlich gebrochenes Land wieder mit sich vereinte. Das Gefühl der Freiheit ist heute für die Nachrevolutionsgeneration, mitten in der Eurokrise, schwer greifbar. Kann man sich in der Zeit rückwärts filmen?
Das körnige Super-8-Material schlägt eine Brücke ins Gestern. Die Kamera sucht Orte von drei Familiengenerationen auf, die sich nur noch halb anfühlen. Auch das Meer gehört dazu, von dem der Großvater einst sagte, es sei eine Metapher für die Welt. Immer wieder kommt der lyrische Wortwechsel zwischen Bruder und Schwester auf das Gefühl der Halbheit zurück. Auf der Bildebene wird nach der anderen Hälfte gesucht, durchaus mit einer feinen Ironie, die den melancholischen Grundton aufhebt. Eine Metapher bleibt schließlich eine Metapher. So entsteht ein selbstreflexives, poetisches Suchbild, in dem das Persönliche stets über sich hinausweist.
Lars Meyer

Mom

Dokumentarfilm
Russland
2013
28 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Lidiya Sheynina
Regie
Lidiya Sheynina
Kamera
Lidiya Sheynina
Schnitt
Lidiya Sheynina
Buch
Lidiya Sheynina
Ton
Lidiya Sheynina
Ruhig und doch unheimlich teilnahmsvoll hält Lidiya Sheynina die Kamera, oft aus leichter Untersicht, auf den Körper und das Gesicht ihrer Mutter. Diese hat über die Jahre die Physiognomie einer gemütlich sich abplagenden Schildkröte angenommen. Life is hard, die Wohnung eng, aber sie macht das Beste draus – und weiter, immer weiter. Seit Jahrzehnten kümmert sie sich um ihre greise Mutter, jene grauhaarige, anmutige Grande Dame dieses studentischen Kleinjuwel-Films, die mal rumturnt („Hampelmann“ im Rollstuhl), mal mit alten Freundinnen telefoniert (so sie nicht verstorben sind), mal Geschirr spült (auch Teflonpfannen, was sie nicht soll), meist aber einfach dasitzt und isst, oder trinkt, aus einer wunderbaren Tasse mit der Aufschrift „babushka“. Aus der Großmutter, die vergessen hat, wie alt sie ist („Was? 96? Kann nicht sein.“), dass sie seit 17 Jahren ohne Mann lebt („Wirklich?“) und seit 20 Jahren das Haus nicht mehr verlassen hat („Genau deshalb will ich ja wieder mal raus“), ist ein Kind geworden, aus der Tochter eine Mama. Das Radio berichtet von der wunderbaren Unabhängigkeit im Alter, das Leben spielt anders. Tagein, tagaus, zusammen. Und doch schunkelt Mama fröhlich zur Morgenmusik und blickt gemeinsam mit der ihren aus dem Fenster. Warten auf den Frühling. Es sind zärtliche Metaphern wie diese, die „Mama“, einen Film der kleinen Gesten, zu großem Kino machen.

Barbara Wurm



Lobende Erwähnung im Internationalen Wettbewerb für kurze Dokumentarfilme 2013