Filmarchiv

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Internationales Programm 2018
(M)Other Antonia Hungerland

Wie verändert sich das Bild des Mutterseins, wenn sich durch Eizellenspende, Leihmutterschaft oder Adoption diverse Alternativen zum Modell Mann-Frau-Beischlaf-Biologie gesellen?

(M)Other

Dokumentarfilm
Deutschland
2018
88 Minuten
Untertitel: 
englische
deutsche

Credits DOK Leipzig Logo

Produktion
Christopher Zitterbart, Saskia Veigel, Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF
Regie
Antonia Hungerland
Musik
Markus Zierhofer
Kamera
Antonia Hungerland
Schnitt
Antonella Sarubbi
Buch
Antonia Hungerland
Ton
Tim Altrichter, Benedikt Ludwig, Christoph Walter, Luise Hofmann
Heute ist es durchaus realistisch, dass ein Kind drei Mütter hat: eine Eizellenspenderin gibt einem Baby ihre Gene, das von einer Leihmutter austragen und später von einer weiteren Frau oder einer Person, die eventuell männlich und schwul ist, aufgezogen wird. Das klassische Konzept der „natürlichen“ Mutterschaft kommt hier (und anderswo) an seine Grenzen.

Die Definition von Mutterschaft ist umkämpft. In der Debatte über (gute) Mütter spiegelt sich das generelle Ringen um gesellschaftliche Normen im Wandel. Diese Diskussion, das macht „(M)Other“ sehr deutlich, betrifft alle. Sowohl jene, die als „klassische“ Mütter mit Klischees und Vorurteilen zu kämpfen haben, als auch solche, die den Begriff für sich in Anspruch nehmen, obwohl sie dem etablierten, sich stur gegen alle offensichtlichen Veränderungen behauptenden „Modell“ nicht entsprechen. Antonia Hungerland zeigt, dass das vermeintlich Private noch immer (oder: erst recht heute) hochgradig politisch ist.

Luc-Carolin Ziemann


Nominiert für den Dokumentarfilmpreis des Goethe-Instituts

Internationales Programm 2017
209 rue Saint-Maur, Paris, 10ème – The Neighbours Ruth Zylberman

Rekonstruktion einer aufgelösten Hausgemeinschaft. Ein experimentell-historiografischer Blick hinter die Fassade eines Pariser Gebäudes.

209 rue Saint-Maur, Paris, 10ème – The Neighbours

Dokumentarfilm
Frankreich
2017
103 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Paul Rozenberg, Céline Nusse (Zadig Productions)
Regie
Ruth Zylberman
Musik
Nicolas Repac
Kamera
Cédric Dupire
Schnitt
Valérie Loiseleux
Ton
Benjamin Bober, Graciela Barrault
Die französische Regisseurin und Historikerin Ruth Zylberman sitzt in den USA in einem Wohnzimmer – zu Besuch bei einem 79-jährigen Mann, der während der Besatzung von Paris durch die Deutschen von seinen jüdischen Eltern bei einer fremden Familie versteckt wurde. Heute kann sich Henry Osman, geboren als Henri Ossmann, an seine Eltern kaum erinnern – nicht, wie sie aussahen, nicht, was sie beruflich taten. Zylberman hat einen Stapel kopierter Dokumente dabei und kann diese Kindheit in Teilen rekonstruieren.

Das Haus mit der titelgebenden Adresse – hier lebte Osman als kleiner Junge – liegt im jüdischen Viertel von Paris. Minutiös hat Zylberman die ehemalige Hausgemeinschaft während der Kriegsjahre nachgebildet: Wer hat hier gewohnt? Wer hat wen gekannt? Reenactments mit Puppenmöbeln und gezeichneten Raumplänen an den Küchentischen der einstigen Bewohner wechseln sich mit Ansichten des Gebäudes von heute ab. Der typische Pariser Bau in der Rue Saint-Maur mit der Hausnummer 209 wird so als ein anachronistischer Raum entworfen, in dem die Geschichte bis in den gepflasterten Innenhof hinein nachlebt. Ein zugleich hoch konzentriertes und hoch emotionales Stück experimenteller Historiografie.

Lukas Stern
Internationales Programm 2016
21 x New York Piotr Stasik

Verängstigte und Aufgekratzte, Erleuchtete und Verwirrte, Notgeile und Befriedigte. Menschen in NYC. Der A-Train als Erzählmuster rasanter Bildläufe und meditativer Passagen. Eine Pop-Perle.

21 x New York

Dokumentarfilm
Polen
2016
70 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Agnieszka Wasiak
Regie
Piotr Stasik
Kamera
Piotr Stasik
Schnitt
Dorota Wardęszkiewicz, Tomasz Wolski, Piotr Stasik
Ton
Michał Fojcik
Mag sein, dass die 21 eine willkürliche Zahl ist: Porträts von 21 Personen, die in der Summe für die Gesamtheit der mehr als acht Millionen Einwohner von New York City stehen, sie repräsentieren sollen? Das ist keine valide Menge, würde jeder Statistiker sagen und hätte recht damit. Doch gottlob geht es im Kino nur ganz am Rand, wenn überhaupt, um Statistik.

„21 x New York“ beginnt mit dem Bild eines in der Subway-Röhre auftauchenden „A“-Trains und erschafft sich mit diesem selbstbewussten Hinweis auf eines der größten Jazzstücke des 20. Jahrhunderts zugleich das Muster für das eigene Erzählen. In der Folge sind zu sehen: Verängstigte und Aufgekratzte, Erleuchtete und Verwirrte, notgeile Passanten und befriedigte Paare. Extrem schnelle Wechsel zwischen den einen und den anderen, weniger kontrastierend als kaleidoskopisch. Unterbrochen werden die rasanten Bildläufe immer wieder von meditativen Passagen, und über den Bildern, als würden Stimmen aus dem Speicher eines künstlichen neuronalen Netzes zugeschaltet, Erzählungen oder Räsonnements einiger Protagonisten aus diesem aufregenden Geperle. Man könnte glauben, Baudelaire sei wieder auferstanden, hätte Zeit, Ort und Medium gewechselt und noch einmal eine Reihe von lyrischen Tableaus begonnen. Herausgekommen wären dann keine „Tableaux Parisiens“, sondern „Tableaux New Yorkaises“ oder eben „21 x New York“.

Ralph Eue


Nominiert für MDR-Filmpreis

32 Souls

Dokumentarfilm
Myanmar
2016
26 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Lindsey Merrison (Yangon Film School)
Regie
Say Naw Kham
Kamera
Nay Linn Htun
Schnitt
Say Na Kham
Buch
Sai Naw Kham
Ton
Soe Arkar Htun
32 Seelen hat ein Mensch, so sagt es ein Glaube in Myanmar, doch wir müssen sie immer wieder zu uns zurückrufen. Der Film ist zugleich das Porträt einer Frau, die gegen Ende ihres Lebens allein in einer ärmlichen Hütte mitten im Wald lebt, und eine Anrufung der Geister der Vergangenheit eines von Kriegen und Verlusten heimgesuchten Landes. Der observierende, poetische Bilderfluss wird mehrfach von einer geisterhaften, subjektiven Kamera durchbrochen – stellvertretend für die umherwandernden Seelen.

Lars Meyer
Internationales Programm 2015
8 Bullets Frank Ternier

Ein gedankenverlorener, in Taipeh lebender französischer Geschäftsmann mit einem Loch im Kopf wird von seiner Obsession in den Wahnsinn getrieben: der Geruch von gebratenem Fisch.

8 Bullets

Animationsfilm
Frankreich
2014
12 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Maud Martin
Regie
Frank Ternier
Musik
Zed
Animation
Frank Ternier, Shihhan Shaw, Laurent Moulin
Ton
Frédéric Duzan
Ein gedankenverlorener, in Taipeh lebender französischer Geschäftsmann mit einem Loch im Kopf wird von seiner Obsession in den Wahnsinn getrieben: der Geruch von gebratenem Fisch. In Wirklichkeit jagt er dem Duft der Rache nach, die grimmig mit 8 Kugeln geübt werden wird.
Durch verschiedene Blickwinkel und Rückblenden, die ineinander verschlungen sind wie die Tentakel eines Oktopus, wird um einen Kern reduzierter Linien, Hintergründe und Farben herum eine in sich zerrissene Erzählung konstruiert.

Victor Orozco
Internationales Programm 2017
8, Lenin Avenue Valérie Mitteaux, Anna Pitoun

Langzeitbeobachtung einer geglückten Integration: Aus dem illegalen Wohnwagenlager hat es die rumänische Romni Salcuta mit ihren beiden Kindern in die französische Gesellschaft geschafft.

8, Lenin Avenue

Dokumentarfilm
Frankreich
2017
101 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Igor Ochronowicz
Regie
Valérie Mitteaux, Anna Pitoun
Kamera
Valérie Mitteaux, Anna Pitoun, Raquel Freire, Sébastien Balanger
Schnitt
Fabrice Rouaud
Ton
Hugo Leitão
Langzeitbeobachtungen haben ihre eigenen Regeln. Oft entwickeln sie sich aus vorherigen Filmen und dem anhaltenden Kontakt zu den Gefilmten. Anna Pitoun und Valérie Mitteaux haben das Schicksal ihrer Protagonistin Salcuta Filan über fast 15 Jahre mit der Kamera begleitet. Das erlaubt ihnen, einen großen Erzählbogen zu spannen und Entwicklungen aufzuzeigen. Die ersten Bilder, in denen die Bürger von Achères, einer Gemeinde nordöstlich von Paris, ein Roma-Lager vor der Räumung schützen wollen, wurden 2003 gedreht. Damals entstand „Caravan 55“, ein erster Film über Salcuta und ihre beiden Kinder Denisa und Gabi.

Die Regisseurinnen wollen zeigen, dass Integration sehr wohl möglich ist, und zwar auch für Roma, denen größere Vorurteile als anderen Zuwanderern entgegenschlagen. Rechten Populisten dienen sie als Sündenböcke, an denen sich politische Exempel statuieren lassen. Trotz der herzlichen Helferinnen und Helfer, die Salcutas Familie in echter Freundschaft verbunden sind, werden auch alltäglicher Rassismus und Antiziganismus deutlich, ebenso der Rechtsruck der letzten Jahre, der das gesellschaftliche Klima in Frankreich veränderte. Dennoch entwickelt sich Salcuta von einer schüchternen, alleinerziehenden Witwe zu einer selbstbewussten Matriarchin, die für ihre Rechte kämpft. In Frankreich findet sie eine Stimme, die sie als Romni in ihrer Heimat Rumänien nie hatte.

Sirkka Möller


Nominiert für Filmpreis "Leipziger Ring"
Internationales Programm 2015
9 Days – From My Window in Aleppo Thomas Vroege, Floor van der Meulen

Der Fotograf Issa Touma kann seine Wohnung in Aleppo nicht verlassen – vor der Tür wird hart gekämpft: die Assad-Armee gegen die Aufständischen und schließlich kommt noch der IS.

9 Days – From My Window in Aleppo

Dokumentarfilm
Niederlande,
Syrien
2015
13 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Jos de Putter
Regie
Thomas Vroege, Floor van der Meulen
Kamera
Issa Touma
Schnitt
Thomas Vroege, Floor van der Meulen
Buch
Issa Touma
Ton
Tom Jansen
Der Fotograf Issa Touma kann seine Wohnung in Aleppo nicht verlassen – vor der Tür wird hart gekämpft: die Assad-Armee gegen die Aufständischen und schließlich kommt noch der IS. Issa richtet die Kamera auf sich selbst und durch die heruntergezogene Jalousie aus dem Fenster. So entsteht ein authentisches Bild, das Menschen aus Konfliktregionen vertraut scheinen mag: Nachrichtenbilder, die echten Geräusche der Straßengefechte von draußen und die „Normalität“ des Alltags – Perversion des Kriegs.

Zaza Rusadze
Internationales Programm 2017
95 and 6 to Go Kimi Takesue

Ein Drehbuchtitel wird gesucht und ein Opa gefunden. Ein liebe- und humorvoller Blick im Homevideo-Stil: auf den Großvater, die Familiengeschichte und die Landschaften der Vorfahren.

95 and 6 to Go

Dokumentarfilm
USA
2016
85 Minuten
Untertitel: 
keine

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Produktion
Kimi Takesue, Richard Beenen
Regie
Kimi Takesue
Musik
Paul Brill
Kamera
Kimi Takesue
Schnitt
Kimi Takesue
Ton
Jeff Seelye
Die Filmemacherin Kimi Takesue und ihr verwitweter Großvater Tom haben viel vor: Zunächst muss erst einmal Toms Haus entrümpelt werden. Vieles hat sich hier angesammelt seit dem Tod der Großmutter, die Toms Vorliebe für Film und Fernsehen nicht wirklich teilen konnte. Dann gibt es da noch Kimis unfertiges Drehbuch, das seit Jahren auf Vollendung wartet und dringend einen neuen Titel braucht. Der rüstige Pensionär entwickelt hierfür viele – teils schmalzige – Ideen, die leider nicht immer auf Gegenliebe treffen. Und nebenbei versucht die wissbegierige Enkelin noch, ihre Familiengeschichte mithilfe von Toms Erinnerungen aufzudröseln. Dabei ergeben sich Einblicke in die Lebensumstände der Vorfahren, die als japanische Einwanderer auf Hawaii versuchten, sich ein Leben aufzubauen. Auch die Liebesbeziehung der Großeltern ist von großem Interesse – vor allem, was die Frage angeht, wie die beiden eigentlich zueinanderfanden und ob es wirklich Liebe auf den ersten Blick war.

Im Stil eines Homevideos gedreht und durchsetzt mit Archivmaterial und Aufnahmen der hawaiianischen Landschaft, wirft Takesue einen liebe- und humorvollen Blick auf ihren Großvater und die eigenen Wurzeln. Dabei findet sie vielleicht keinen neuen Titel für ihr Drehbuch, aber sie kommt ihrem Opa auf bezaubernde Weise nah.

Kim Busch
Internationales Programm 2015
A Baptism of Fire Jérôme Clément-Wilz

Der Alltag junger Kriegsreporter, die auf eigene Kosten in Krisenregionen reisen und ihr Leben riskieren, um das entscheidende Bild zu schießen. Ein prekärer Job.

A Baptism of Fire

Dokumentarfilm
Frankreich
2015
58 Minuten
Untertitel: 
englische
französische

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Produktion
Jérôme Caza – 2P2L
Regie
Jérôme Clément-Wilz
Kamera
Jérôme Clément-Wilz
Schnitt
Ael Dallier Vega
Ton
Jérôme Clément-Wilz
Zahlreiche Journalist/innen und Fotograf/innen sind heute auf der ganzen Welt unterwegs, um so schnell wie möglich Neuigkeiten und Bilder aus den Konfliktregionen direkt zu uns nach Hause zu liefern. Oft hat das Kino von Kriegsreportern als Helden erzählt. Jérôme Clément-Wilz nimmt eine andere Perspektive ein: Auch der Nachrichtenjournalismus ist eine Industrie. Viele freiberufliche, zumeist junge Fotografinnen und Fotografen reisen auf eigene Kosten in die Kriegsgebiete – in der Hoffnung, zur richtigen Zeit am richtigen Ort das entscheidende Foto zu schießen und es für teures Geld an die führenden Medien oder Agenturen zu verkaufen. In einer intimen Beobachtung folgt der Film dem Alltag junger französischer Reporterinnen und Reporter und gibt ihnen Raum, über ihre Arbeit zu reflektieren. Während des Arabischen Frühlings erfüllt sich ihr Traum: Ihre Bilder schaffen es auf die Titelseiten der größten Blätter. Dennoch vermeidet Clément-Wilz jedes heldenhafte Pathos, sondern zeigt einerseits Abenteuerlust und jugendliche Unbekümmertheit seiner Protagonist/innen, andererseits aber auch das harte Geschäft, in dem es keine Absicherung gibt und am ehesten der überlebt, der sein Leben am bereitwilligsten aufs Spiel setzt. Der Beruf des Kriegsreporters – ein prekärer Job.

Zaza Rusadze
Internationales Programm 2014
A Goat For a Vote Jeroen van Velzen

Schulsprecherwahl im ländlichen Kenia. Wofür die Kandidaten stehen? Egal! Es geht um Prestige. Und um „little somethings“, die sie ans Wahlvolk verteilen. Ein Grundkurs in Demokratie.

A Goat For a Vote

Dokumentarfilm
Kenia,
Niederlande
2013
52 Minuten
Untertitel: 
englische

Credits DOK Leipzig Logo

Produktion
Hasse van Nunen, Maarten van der Ven
Regie
Jeroen van Velzen
Musik
Alex Boon
Kamera
Stef Tijdink
Schnitt
Daan Wijdeveld
Buch
Jeroen van Velzen
Ton
Robil Rahantoeknam
Richten wir den Blick auf das Einüben demokratischer Prozesse am Beispiel einer Schülerwahl im ländlichen Kenia: Was eigentlich ist die Aufgabe eines Schulsprechers? Egal! Geht es doch um das Amt. Um das Prestige. Um die Weichenstellung individueller Karrieren. Die Kandidaten: Magdalena, die es als einzige weibliche Bewerberin traditionell schwer hat. Harry, der bitterarm ist. Um seine Kampagne zu finanzieren, verkauft er Fische und Kokosnüsse auf dem Markt. Said, der Charmeur. Berufsziel: Armeegeneral. Stratege ist er schon jetzt: Fototermin mit dem Vize, der einen Schritt hinter ihm stehen muss, Plakate kleben, Geld bei Verwandten auftreiben. Und dazu dieses verführerische Lächeln! Allen ist klar, dass sie nur durch Wahlkampfgeschenke siegen können. Oder nennen wir es, wie Magdalenas Großmutter, beim Namen: durch Bestechung. Also verteilen sie Süßigkeiten und „little somethings“. Harry gelingt es sogar, seinen Verwandten eine Ziege abzuschwatzen. Fleisch für alle! Einzig bei Magdalena geht es um Inhalte – weshalb sie verlieren wird …
Was lehrt uns das? Die Schule als gesellschaftlicher Mikrokosmos übt ein, was Erfolg verspricht. Wenn der Weg dorthin über Korruption führt, ist das eine Alltagserfahrung in vielen Ländern. Wie heißt es zu Beginn des Films so schön: „Am besten verstehen wir unsere Gesellschaft, wenn wir auf unsere Kinder blicken.“ In diesem Sinne: A vote for a goat!
Matthias Heeder

A Hole in the Head

Dokumentarfilm
Tschechische Republik,
Slowakei
2016
92 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Barbara Janišová Feglová
Regie
Robert Kirchhoff
Musik
Miroslav Tóth
Kamera
Juraj Chlpík
Schnitt
Jan Daňhel
Buch
Robert Kirchhoff
Ton
Václav Flégl
Eine kleine Kunstgalerie irgendwo in Serbien, in der ausschließlich Werke von Roma ausgestellt werden. Ist Clinton nicht auch ein Roma? Da ist sich die Galeristin nicht so sicher. Aber Antonio Banderas sei Roma, auch Yul Brynner. Sie wagten es nur nicht, sich öffentlich dazu zu bekennen. Diese rührende Szene kultureller Selbstvergewisserung ist Teil einer Erzählung über den Holocaust an den Roma, der weitgehend aus dem europäischen Gedächtnis getilgt ist und dessen Spuren der Regisseur akribisch nachgeht. Ein Film gegen das Vergessen.

Wir lernen Menschen aus Frankreich, Serbien, Deutschland, Tschechien und Polen kennen, die als Kinder in die Fänge der Mordmaschine der Nazis gerieten. Rita war keine drei Wochen alt, als SS-Ärzte in einem Würzburger Krankenhaus grauenhafte Experimente an ihr vornahmen. Ihre Zwillingsschwester starb, sie überlebte mit einem „Loch im Kopf“. Raymond, ein 90-jähriger, extrem wacher Rom, erinnert daran, dass es die französische Gendarmerie war, die sie damals zusammentrieb, nicht die Deutschen. Heute dringt die gleiche Polizei ohne Durchsuchungsbeschluss in seinen Wohnwagen ein und verhaftet drei seiner Söhne, weil sie ihm zu Hilfe kamen. Was hat sich also geändert? Eine Frage, die sich an jeder Station dieser Reise des Gedenkens neu stellt und uns zwingt, Stellung zu beziehen und ideologischen Müll zu entsorgen.

Matthias Heeder


Nominiert für MDR-Filmpreis
Internationales Programm 2014
A House in Fog Mokhtar Namdar

Eine Frau, allein auf einem alten Anwesen in den iranischen Bergen. Ein einfacher Alltag mit harter Arbeit und Tieren, gezeichnet in wärmsten Farben. Doch das Idyll hat Feinde …

A House in Fog

Dokumentarfilm
Iran
2014
27 Minuten
Untertitel: 
englische

Credits DOK Leipzig Logo

Produktion
Javad Zahiri
Regie
Mokhtar Namdar
Kamera
Mohammad Rasouli
Schnitt
Emad Khodabakhsh
Buch
Mokhtar Namdar
Ton
Mehdi Sadeghi, Ali Hasanzadeh
Natürlich ist das Haus viel zu groß für einen allein. Das über Generationen vererbte hundert Jahre alte Anwesen wirkt trotz seiner Hinfälligkeit immer noch majestätisch in dieser idyllischen Hügellandschaft irgendwo im Iran. Es beherbergt jedoch nur noch eine Bewohnerin, Soraiia Hassani, die es bewirtschaftet und in Schuss hält. Sie braucht niemanden, hat sie doch die Tiere und die tägliche Arbeit, die ihrem Leben einen Sinn geben.
Die Kamera malt diesen Alltag in den wärmsten Farben aus und (er-)findet in beiläufigen Arrangements Bilder, die der Malerei näher sind als der Fotografie. Die dunklen Farben dominieren und dennoch kommt kein Gefühl der Einsamkeit auf. So ein Leben wird vorstellbar. Soraiia scheint niemanden zu vermissen, bestenfalls diejenigen, die schon gestorben sind. Aber jedes Paradies hat seine Feinde. Ist es staatliche Fürsorge oder das Gesetz, ist es ihr Geheimnis oder sind es die Gespenster der Vergangenheit, die Soraiia dieses Einsiedlerleben nicht zutrauen, nur weil sie eine Frau ist?
Cornelia Klauß
Internationales Programm 2018
A Life from Death Tuuli Teelahti

Der Tod aus der Sicht der pflegenden Begleiter: stilisiert und konkret. Um das Sterben zirkuliert das Leben. Bettwäsche wird gewechselt, Kerzen werden entzündet, Bettwäsche wird gewechselt.

A Life from Death

Dokumentarfilm
Finnland
2017
20 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Paria Eskandari, Aalto University, ELO Film School Finland
Regie
Tuuli Teelahti
Kamera
Max Smeds
Schnitt
Tuuli Teelahti, Kai Rintamaa
Buch
Tuuli Teelahti
Ton
Tarmo Pehkonen
Aus dem Klavier schwindet der Klang, aus dem Leben der Atem, aus dem Film die Schärfe. Eine Mimesis des Sterbens. Stilisiert, aber konkret. Der Tod aus der Sicht der pflegenden Begleiter: das Wechseln der Bettwäsche, das Zurückhalten der Tränen, der Kaffee in der Pause, das Halten verstummender Hände, das Entzünden der Kerzen. Und von vorn: das Wechseln der Bettwäsche, das Zurückhalten der Tränen, der Kaffee … Lebenszyklen.

Lukas Stern
Internationales Programm 2017
A Marriage Story Helena Třeštíková

Über drei Jahrzehnte beobachtet Helena Třeštíková die Ehe von Ivana und Václav, die scheinbar gewöhnlich verläuft. Bis man merkt, dass es „gewöhnlich“ nur für den ungenauen Blick geben kann.

A Marriage Story

Dokumentarfilm
Tschechische Republik
2017
102 Minuten
Untertitel: 
englische

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Produktion
Kateřina Černá, Pavel Strnad
Regie
Helena Třeštíková
Kamera
David Cysař, Vlastimil Hamerník, Jan Malíř, Miroslav Souček, Ervín Sanders, Jiří Chod, Robert Novák, Antonín Kutík
Schnitt
Jakub Hejna
Buch
Helena Třeštíková
Ton
Richard Müller
Geschichten von der Ehe filmt die Pragerin Helena Třeštíková seit den frühen 1980er Jahren, mehrere Langzeitdokumentationen sind auf diese Weise entstanden. Ivana und Václavs ewiger Bund ist Beobachtungsgegenstand dieser Folge, die vom Tag vor der Hochzeit bis ins Heute reicht. Damals, im Dezember 1980, ist Ivana 21 Jahre alt und Václav 24. Beide studieren Architektur und heiraten, „weil wir uns mögen. Und andere Dinge. Dinge, über die man besser nicht spricht.“ Kurz nach der Hochzeit ist das erste Kind da: Honza.

Helena Třeštíkovás Film „René“ gewann 2008 in Leipzig die Goldene Taube, ein Stück über einen hoffnungslosen, aber einnehmenden Amoralisten, den es immer wieder an den gleichen Ort zog: ins Gefängnis. Offenbar ist auch Třeštíková angezogen von bestimmten Orten, vor allem aber von Menschen und der Art, wie sie ihr Leben in sinnvolle Richtungen zu entwickeln versuchen. In dieser „Marriage Story“ lässt sich beispielsweise ein unglaublicher Wunsch nach Vergrößerung und Wachstum ausmachen, der sich in einer Anhäufung von Gegenständen, Kindern und Verantwortlichkeiten zeigt – eines der inneren Motive des Ehepaares Strnad, das sich über 35 gemeinsame Jahre entklappt.

Carolin Weidner


Nominiert für MDR-Filmpreis
Internationales Programm 2017
A Memory in Khaki Alfoz Tanjour

Khaki sei die Farbe, die in jedem Syrer stecke, heißt es hier. Die These wiederholt sich in Variationen, fliegt durch Kunst und Gedanken. Und Alfoz Tanjour findet die richtigen Bilder dafür.

A Memory in Khaki

Dokumentarfilm
Qatar
2016
108 Minuten
Untertitel: 
englische

Credits DOK Leipzig Logo

Produktion
Louai Haffar
Regie
Alfoz Tanjour
Musik
Kinan Azmeh
Kamera
Ahmad Dakroub
Schnitt
Alfoz Tanjour
Buch
Alfoz Tanjour, Louai Haffar
„Mein Blut besteht aus dieser Stadt, ihren Steinen, ihren Nachbarschaften, ihren Geschäften, ihren Menschen und ihren Morgen … Mein Blut ist vielleicht aus dem Geruch von Diesel gemacht, der in ihr ist.“ Alfoz Tanjour besucht den syrischen Schriftsteller Ibrahim Samuel 2009 in Damaskus und filmt ihn in seinem Adidas-Pullover am Schreibtisch sitzend, mit Kaffee und Zigarette vor seinem Manuskript. Als Tanjour in den 1990er Jahren nach Moldawien ging, um Film zu studieren, war eine Kurzgeschichte Samuels sein erster Stoff. Auch jetzt ist der Intellektuelle Ausgangspunkt für eine Arbeit, die trotz immanenter Schwere wie ein anmutiger Flug ist. „A Memory in Khaki“ teilt Kunst und Gedanken von Menschen, denen das oppressive syrische Regime eingeprägt ist – mitsamt einer Farbe und ihrer Symbolik: Khaki.

Carolin Weidner
Internationales Programm 2019
A New Era Boris Svartzman

Eine Langzeitbeobachtung der Umbrüche in China, exemplifiziert anhand einer widerständigen Inselbevölkerung. Sie verweigern die Umsiedlung, sie verteidigen ihre Häuser, sie erreichen …

A New Era

Dokumentarfilm
Frankreich
2019
71 Minuten
Untertitel: 
englische

Credits DOK Leipzig Logo

Produktion
Anne-Catherine Witt, Antonio Magliano
Regie
Boris Svartzman
Kamera
Boris Svartzman
Schnitt
Suzana Pedro, Emma Augier
Buch
Boris Svartzman, Laurine Estrade
Ton
Boris Svartzman
Über zehn Jahre besuchte der Regisseur und Fotograf Boris Svartzman die Bewohner eines Fleckens Erde in China. Die Häuser und Gärten dort sind umkämpft, vor allem wegen ihrer spezifischen Lage: eine Insel im Perlfluss, inmitten der Millionenstadt Guangzhou. Das Gelände soll in ein „Naturparadies“ mit Wohnanlagen und Parks für die neue chinesische Mittelschicht umgewandelt werden. Doch die Leute weigern sich. 2008 wurden ihre Behausungen zerstört. Das Leben ging weiter, nun eben in Ruinen. Sie wurden vertrieben und kehrten zurück. Das Leben ging weiter, aber nicht zwangsläufig an den neuen Siedlungsorten, die man ihnen zur Verfügung stellte. Ihre Gärten wurden vernichtet. Das Leben ging weiter, in den Gärten, die sie wieder aufbauten.

Lauter und leiser Widerstand gegen die Modernisierung, der überall auf der Welt geleistet wird, erscheint einem in China besonders dramatisch. Das Nebeneinander von modernem, westlich inspiriertem Lebensstil und alten Traditionen und Architekturen fängt Svartzman im Detail ein. Das macht die Lebensgeschichte des alten Herrn, der den fremden Gast wie einen Geist immer wieder herzlich empfängt, zu einem Requiem. Der auf die Stadt fixierte Westen, so Svartzman, hätte von China viel in Sachen „ländlicher Demokratie“ lernen können – wäre der Ferne Osten nicht so westlich über seine ländlichen Räume und Menschen hinweggetrampelt.

Saskia Walker